Entscheidungsstichwort (Thema)
§ 3 Nr. 6 EStG ist auch auf eine Leistung aus öffentlichen Mitteln eines Drittstaats anzuwenden. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: X R 29/22)
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Anwendungsbereich von § 32b EStG beschränkt sich nur auf die darin aufgeführten, besonderen Steuerfreiheiten. Mithin ist und bleibt eine bezogene Leistung insgesamt steuerfrei und unterliegt auch nicht dem Progressionsvorbehalt, wenn sich ihre – weitergehende – Steuerfreiheit z. B. aus § 3 EStG ergibt.
2. Die vollständige Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 6 EStG greift insbesondere auch dann ein, wenn die Leistung nicht aus inländischen, sondern aus ausländischen Mitteln, d. h. aus öffentlichen Mitteln irgendeines Staates bezogen wird.
Normenkette
EStG § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 3 Nr. 6
Tenor
1. Die Einkommensteuerfestsetzung 2020 mit Bescheid vom 25.06.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.11.2021 wird dahingehend abgeändert, dass von den USA bezogene sonstige Einkünfte des Klägers aus einer Invaliditätsentschädigung i.H.v. XX.XXX EUR weder der Besteuerung zugrunde gelegt noch bei der Ermittlung des Steuersatzes einbezogen werden. Die Berechnung der neu festzusetzenden Steuer wird dem Beklagten übertragen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch einfache Erklärung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrags leisten.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist letztlich, ob der Tatbestand von § 3 Nr. 6 Einkommensteuergesetz (EStG) auch dann erfüllt sein kann, wenn eine entsprechende Leistung aus öffentlichen Mitteln eines Drittstaats, d.h. Nicht-EU-Auslands, gewährt wird.
Die Kläger (Kl) sind für das Streitjahr 2020 zusammen zur Einkommensteuer zu veranlagende Eheleute. Der Kl war Angehöriger der Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) gewesen und im Einsatz körperlich schwerst geschädigt worden mit massiven Beeinträchtigungen am Stütz- und Bewegungsapparat (…). Seitdem ist er behindert; er schied ehrenhaft aus dem Dienst aus. Aufgrund seiner Beeinträchtigungen bezog der Kl auch im Streitjahr von der US-Bundesregierung, durch die zuständige Behörde, eine Invaliditätsentschädigung (disability compensation). Gesetzliche Grundlage hierfür waren die Vorschriften im U.S. Code (Code of Laws of the United States of America), Title 38, Chapter 11. Die Höhe der Entschädigung hing nur vom Grad seiner, des Kl, erlittenen Beeinträchtigungen ab. Andere Aspekte wie die vormalige Tätigkeit als solche einschließlich Art und Umfang spielten keine Rolle. Im Streitjahr erhielt der Kl einen Betrag i.H.v. insgesamt XX.XXX EUR.
Für 2020 reichten die Kl am 22.03.2021 eine Einkommensteuererklärung beim Beklagten (Bekl) ein. Darin erklärten sie u.a. nach einem Doppelbesteuerungsabkommen steuerfreie sonstige Einkünfte aus einem Ruhegehalt aus den USA i.H.v. XX.XXX EUR (Bl. 7 Einkommensteuerakte). Der Bekl setzte die Einkommensteuer mit Bescheid vom 25.06.2021 auf X.XXX EUR fest. Bei der Berechnung des Steuersatzes berücksichtigte er die steuerfreien sonstigen Einkünfte des Kl i.H.v. XX.XXX EUR nach dem Progressionsvorbehalt gemäß § 32b EStG (Bl. 22 f. Einkommensteuerakte).
Dagegen legten die Kl am 22.07.2021 Einspruch ein. Sie wendeten sich insbesondere gegen die Anwendung des Progressionsvorbehalts. Dies begründeten sie im Wesentlichen damit, dass § 32b EStG für eine Anwendung des Progressionsvorbehalts vorsehe, dass es sich um Einkünfte handele. Da § 32b EStG selbst keinen eigenständigen Einkünftebegriff enthalte, sei auf die allgemeinen Vorschriften des EStG zurückzugreifen. Auch § 3 EStG für Steuerbefreiungen sei anzuwenden. Die Invaliditätsentschädigung, die er, der Kl, erhalte, sei steuerfrei. Denn es handele sich um eine Beeinträchtigungsentschädigung analog zu einer Invaliditätsentschädigung oder eine Unfallversicherung und nicht um eine Leistung mit Versorgungs- oder Lohn(ersatz)charakter oder um Verletzten- oder Krankengeld. Den Einspruch wies der Bekl allerdings mit Einspruchsentscheidung vom 04.11.2021 zurück. Zutreffend sei, dass die streitgegenständliche Leistung in Deutschland steuerfrei sei gemäß Art. 19 Abs. 2 lit. a des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und einiger anderer Steuern in der Fassung der Bekanntmachung vom 04.06.2008 (DBA USA). Indes unterliege die Leistung gemäß Art. 23 Abs. 3 lit. a DBA USA i.V.m. § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG dem Progressionsvorbehalt in Deutschland. Zwar richte sich nach dem nationalen, deutschen Recht, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 32b EStG im konkreten Fall erfüllt seien. Aber dies sei hier insbesondere deshalb der Fall, weil kein Ausnahmefall des § 3 Nr. 6 EStG vorliege. Demzufolge unterläge eine Leistung nur dann...