rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld. Besuch der „Jüngerschaftsschule” als Berufsausbildung i. S. d. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2a EStG
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Kind befindet sich auch dann in einer Berufsausbildung i. S. d. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2a EStG, wenn es nach erfolgreicher Absolvierung einer zur Berufsausübung berechtigenden Ausbildung zusätzliche Qualifikationen erwirbt, sofern diese als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufes geeignet sind und das Kind seine Weiterqualifizierung ernsthaft und nachhaltig betreibt. Dabei wird die Schwelle zur Berufsausbildung dann überschritten, wenn die Betätigung einen gewissen zeitlichen Mindestaufwand und eine ausreichende theoretische Systematisierung erreicht.
2. Der Begriff der Berufsausbildung i. S. d. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2a EStG ist weiter als der Begriff der Berufsausbildung im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG.
3. Der Besuch der „Jüngerschaftsschule” ist eine Berufsausbildung i. S. d. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2a EStG. Die Schule umfasste im Streitfall ein wöchentliches Programm von 50 Stunden mit Unterrichtseinheiten (ca. 25 Stunden/Woche), Arbeitseinsätzen und Leseaufgaben. Die Ausbildung erfolgte anhand eines festgelegten Studienplans durch eine strukturierte Wissensvermittlung mit einem festen Zeitplan und einem Zeitaufwand für die Teilnehmer, der die Arbeitskraft und -zeit weitgehend in Anspruch nahm. Sie ist darüber hinaus nicht in das Belieben des Schülers gestellt, sondern unterliegt festen Regelungen. Es bestand Anwesenheitspflicht. Wer unentschuldigt fehlte, musste die Schule verlassen. Außerdem waren begleitend Bücher, z. B. Biographien über christliche Persönlichkeiten oder zu einem der Themen, zu lesen und Berichte hierzu abzugeben. Damit fand auch eine entsprechende Lernkontrolle statt. Zwar wurden keine Noten vergeben. Dies ist jedoch nicht entscheidend für das Vorliegen einer Berufsausbildung.
Normenkette
EStG § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 S. 2, § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2a, S. 2, § 70 Abs. 2, § 10 Abs. 1 Nr. 7; FGO § 40 Abs. 1, § 44 Abs. 1
Tenor
1. Der Bescheid vom 5. November 2009 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. April 2010 sowie der Bescheid vom 19. April 2010 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. April 2010 werden aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.
4. Die Revision wird zugelassen.
5. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kosten-festsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, hat der Kläger in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruchs Sicherheit zu leisten. Liegt der vollstreckbare Kostenerstattungsanspruch im Wert bis zu 1.500 EUR, ist das Urteil hinsichtlich der Kosten ohne Sicherheitsleistung vollstreckbar. In diesem Fall kann die Beklagte die Vollstreckung durch einfache Erklärung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruchs Sicherheit leistet.
Tatbestand
Streitig ist, ob dem Kläger im Zeitraum von Oktober 2009 bis März 2010 Kindergeld für das am 1. Juli 1985 geborene Kind X zusteht.
Das Kind studierte nach dem Abitur Rechtswissenschaften. Das Studium beendete es mit dem Bestehen des ersten juristischen Staatsexamens am 19. Juni 2009 (vgl. Kopie des Zeugnisses des Landesjustizprüfungsamtes, KG-Akte Bl. 170). Mit Ablauf des 30. September 2009 wurde es von der B-Universität in T exmatrikuliert (KG-Akte Bl. 124).
In der Zeit vom 1. Januar 2009 bis 30. September 2009 überstiegen die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes den (anteiligen) Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der für das Jahr 2009 gültigen Fassung nicht (vgl. abschließende Entscheidung der beklagten Familienkasse – FamK –, KG-Akte Bl. 144 f.).
In der Zeit vom 23. September 2009 bis zum 5. März 2010 besuchte das Kind die „Jüngerschaftsschule” des Missionswerks „Jugend mit einer Mission” in Y, (Südafrika, vgl. Bescheinigung, FG-Akte Bl. 51; Zertifikat, FG-Akte Bl. 56).
„Jugend mit einer Mission” ist der deutschsprachige Zweig von „Youth with a mission”. Sie versteht sich als internationale Bewegung junger Christen, die sich dazu berufen wissen, Jesus Christus zu dienen und das Evangelium vom Reich Gottes ganzheitlich zu leben und zu verkünden. Nach ihren eigenen Angaben (vgl. www.jmem.de; FG-Akte Bl. 174) begann „Youth with a mission” ihre Tätigkeit in den 1960er Jahren. Der Hauptschwerpunkt liege darauf, Jugendlichen zu ermöglichen, im Rahmen von weltweiten Missionseinsätzen anderen von ihrem Glauben an Jesus nach seinem Vorbild in Wort und Tat weiter zu geben. Die Dienste und Aktivitäten ließen sich in drei Kategorien zusammenfassen: Evangelisation, Schulung und karitative Dienste.
In Deutschland wird „Jugend mit einer Mission” vom Dachverband „Jugend mit einer Mission – Deutschlandverband e.V.” getragen, der sieben Schulungs- und Missionszentren in der Struktur eingetragener Vereine unterhält (vgl. Auszug aus Internet, F...