Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkende Neuregelung von § 233a Abs.1 AO 1977 durch das JStG 1997 verfassungsrechtlich unbedenklich
Leitsatz (redaktionell)
1. Die -auf alle am 28.12.1996 anhängigen Verfahren anzuwendende und damit auch rückwirkende- Neufassung der Verzinsungsregelung in § 233a Abs.1 AO 1977 durch das Jahressteuergesetz 1997 ist unter dem Gesichtspunkt des Rückwirkungsverbots verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
2. Das Vertrauen des Bürgers auf die Verlässlichkeit des Rechts ist dann nicht schutzwürdig -und der Gesetzgeber darf dann die Rechtslage rückwirkend klären-, wenn die Rechtslage unklar und verworren ist.
Normenkette
AO 1977 § 233a Abs. 1; EGAO Art. 97 § 1 Abs. 6; GG Art. 20; JStG 1997
Tatbestand
Streitig ist, ob trotz freiwilliger Zahlung der Einkommensteuer (ESt) vor der Veranlagung Zinsen zur ESt für 1993 festgesetzt werden konnten.
Die Kläger (Kl) gaben ihre ESt-Erklärung für 1993 am 25. Juli 1995 ab. Am 4. September 1995 zahlten sie DM 46.000 auf die voraussichtliche ESt-Schuld. Mit Bescheid vom 26. September 1995 wurde die verbleibende Steuerschuld auf DM 73.308 festgesetzt. Bei bisher festgesetzten Vorauszahlungen in Höhe von DM 27.876 ergab sich ein Unterschiedsbetrag in Höhe von DM 45.432. Aufgrund der freiwilligen Zahlung vom 4. September 1995 ergab sich eine Erstattung von DM 568.
Mit dem ESt-Bescheid vom 26. September 1995 wurden zugleich für die ESt-Schuld in Höhe vom DM 45.400 vom 1. April bis 1. September 1995 (5 × 0,5 v.H.) Nachzahlungszinsen in Höhe von DM 1.135 festgesetzt.
Dagegen legte der Prozeßbevollmächtigte für die Kl am 6. Oktober 1995 Einspruch ein, der mit Einspruchsentscheidung vom 9. Mai 1997 zurückgewiesen wurde.
Mit der Klage vom 23. Mai 1997 trägt der Klägervertreter vor, der Bundesfinanzhof (BFH) habe im Urteil vom 15. März 1995 (I R 56/93, Bundessteuerblatt -BStBl- II 1995, 490) und danach – trotz des Nichtanwendungserlasses (vgl. BMF-Schreiben vom 24. Juli 1995, BStBl I 1995, 370) – nochmals in den Urteilen vom 28. Februar 1996 (XI R 44/94, BFH/NV 1996, 658) und vom 13. November 1996 (XI R 5696, BFH/NV 1997, R 102) entschieden, daß Nachzahlungszinsen nach dem Wortlaut des § 233 a Abs. 1 Abgabenordnung (AO) in der bis 1996 gültigen Fassung nicht festgesetzt werden dürfen, wenn sich im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung keine Nachzahlung, sondern – wie im vorliegenden Fall – eine Erstattung ergibt. Mit dem Jahressteuergesetz 1997 habe der Gesetzgeber diese Regelung in § 233 a Abs. 1 AO zwar geändert. Eine rückwirkende Anwendung der Neufassung sei dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu entnehmen. Eine materielle Rückwirkung sei im übrigen verfassungswidrig. Aber auch nach dem Wortlaut der Neufassung würden sich keine Nachzahlungszinsen ergeben, wenn die freiwillige Zahlung als Antrag auf Anpassung der Vorauszahlungen entweder nach § 37 Einkommensteuergesetz (EStG) oder nach § 164 Abs. 2 AO zu behandeln sei und die Annahme des Geldes als Genehmigung der Anpassung der Vorauszahlungen zu verstehen sei. Im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung habe sich daher keine Divergenz zwischen Vorsoll und Festsetzungssoll ergeben.
Im übrigen verweist der Klägervertreter auf die Entscheidungen des BFH vom 19. März 1997 (I R 796, BStBl II 1997, 446 – die verspätete Festsetzung der Steuer zwingt nicht zum Erlaß der Zinsen). Zur Frage der rückwirkenden Anwendung des Jahressteuergesetzes 1977 verweist der Klägervertreter auf das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 3. September 1997 (II 397/94, EFG 1998, 347 – § 233 a AO in der Fassung des Jahressteuergesetzes 1997 ist bei vor dem 1. Januar 1997 rechtshängig gewordenen Klagen vom Gericht nicht anzuwenden) und auf den Beschluß des Finanzgerichts München vom 23. Januar 1998 (7 V 3993/97, EFG 1998, 621), wonach die rückwirkende Anwendung des § 233 a AO verfassungsrechtlich zweifelhaft sei. Im übrigen habe die Finanzverwaltung in zwei Verfahren beim Finanzgericht -FG- (8 K 62/97 und 5 K 238/98) Zinsbescheide aufgehoben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 23. Mai, 13. August. 20. Oktober 1997, 11. Januar, 23. März, 22. April. 29. Mai, 30. Juni, 10. Dezember 1998 und 10. Februar 1999 verwiesen.
Die Kl beantragen,
den Bescheid vom 26. September 1995 über die Festsetzung von Zinsen zur ESt 1994 und die Einspruchsentscheidung vom 9. Mai 1997 aufzuheben.
Der Beklagte (Bekl) beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, die BFH-Rechtsprechung sei lediglich zur alten Rechtslage ergangen. § 37 Abs. 3 EStG schließe eine Anpassung der Vorauszahlungen nach Ablauf der Frist aus, so daß eine freiwillige Zahlung auch nicht zur Änderung des Vorsolls führen könne. Im übrigen komme es auf die zu Beginn des Zinslaufs festgesetzten Vorauszahlungen an. Die Änderung des Gesetzes durch das Jahressteuergesetz 1997 sei verfassungsrechtlich unbedenklich, wie sich aus dem Urteil des FG Schleswig-Holstein vom 10. Dezember 1997 (II 892/97, EFG 1998, 619) ergäbe. Die Kl hätten bis zur Zahlung am 4. September 1995 einen Liquiditätsvorteil gehab...