Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufrechnung von Umsatzsteuererstattungsansprüchen aus freigegebenen Vermögen
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Insolvenzverfahren ist der USt-Vergütungsanspruch aus der freigebenen selbstständigen gewerblichenTätigkeit mit Steuerschulden, die vor der Insolvenzeröffnung begründet wurden, zu verrechnen.
2. Die insolvenzrechtlichen Aufrechnungsverbote stehen einer Aufrechnung zwischen den Vermögensmassen nicht entgegen.
Normenkette
AO § 218 Abs. 2, § 226 Abs. 1, § 47; UStG § 2 Abs. 1; InsO § 35 Abs. 2, §§ 38, 89 Abs. 1, § 201 Abs. 2 S. 1, § 294 Abs. 1
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Über das Vermögen der Klägerin wurde mit Beschluss des Amtsgerichts – AG – X vom 12. Februar 2009 (Az. xxx) das Insolvenzverfahren eröffnet und Herr B zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Beklagte – Bekl – meldete daraufhin Abgabenforderungen i.H.v. 57.388,49 EUR zur Tabelle an, die zwar (zunächst) bestritten, aber zwischenzeitlich festgestellt worden sind.
Am 2. Juli 2009 hatte der Insolvenzverwalter dem Insolvenzgericht mitgeteilt, dass das Vermögen der Klägerin aus ihrer selbständigen (gewerblichen) Tätigkeit (M) nicht zur Insolvenzmasse gehöre und dass Ansprüche aus dieser Tätigkeit nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden könnten.
Der Bekl meldete am 30. Juli 2009 Abgabenforderungen in Höhe von 3.325 EUR (Schätzung Umsatzsteuer – USt – 2009, fällig am 12. Februar 2009) zur Tabelle nach.
Am 21. September 2009 zeigte der Insolvenzverwalter dem AG X die Masseunzulänglichkeit an. Das AG X beschloss, die nachträglich angemeldeten Forderungen im schriftlichen Verfahren zu prüfen. Die Restschuldbefreiung wurde am 13. April 2015 erteilt.
Aus der vom Insolvenzverwalter freigegebenen gewerblichen Tätigkeit ergaben sich Erstattungsansprüche aus den USt-Voranmeldungen für die Monate März 2010 bis Juli 2010, Oktober 2010, Dezember 2010 sowie für das 3. Quartal 2012 und aus der Jahressteuererklärung für USt 2011 in Höhe von insgesamt 5.690,74 EUR.
Diese rechnete der Bekl mit Steuerrückständen aus den USt-Voranmeldungen für September 2004 bis Dezember 2004, 3. Quartal 2005 und USt 4. Quartal 2008, der USt-Festsetzung für 2005, der Festsetzung von Zinsen zur USt sowie den Vorauszahlungen wegen Einkommensteuer – ESt – für das 2. Quartal 1994 auf.
Der Bekl informierte die Klägerin über die jeweilige Aufrechnung gemäß § 226 Abgabenordnung – AO – schriftlich. Er teilte ihr hierzu jeweils schriftlich mit, in welcher Höhe sie, die Insolvenzschuldnerin, gegen das Land Baden-Württemberg, vertreten durch den Bekl, noch Geldforderungen habe. Der Beklagte bezeichnete unter „a)” die jeweilige Geldforderung konkret, so z.B. mit Schreiben vom 25. Mai 2010 die „Umsatzsteuer 03/10” in Höhe von „293,09 EUR”. Sodann erklärte der Bekl „die Aufrechnungen gegen die unter a) bezeichneten Ansprüche mit den folgenden Geldbeträgen, die Sie [die Klägerin] dem Land Baden-Württemberg, vertreten durch das o.a. Finanzamt schulden”. Sodann bezeichnete der Bekl diese Geldbeträge konkret, so z.B. mit Schreiben vom 25. Mai 2010 „41180/18506 Umsatzsteuer 09/04 75,05 EUR” und „41180/18506 Umsatzsteuer 10/04 218,04 EUR”. Der Bekl teilte der Klägerin die Umbuchungen mit.
Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein.
Sodann teilte der Bekl der Klägerin mit, dass gegen die Umbuchungsmitteilungen der Einspruch nicht statthaft sei.
Auf Antrag der Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, erließ der Bekl am 20. März 2013 einen Abrechnungsbescheid.
Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein.
Mit ihrer nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, der Bundesfinanzhof – BFH – habe mit Urteil vom 25. Juli 2012 VII R 29/11 (Bundessteuerblatt – BStBl. – II 2013, 36) seine Rechtsprechung geändert. Eine Aufrechnung mit Insolvenzforderungen sei danach nicht zulässig. Im Übrigen bestreite sie, dass die zur Begründung der Verrechnung angeführten Steuerschulden entstanden seien.
Die Klägerin beantragt,
den Abrechnungsbescheid vom 20. März 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. Januar 2014 aufzuheben und den aufgerechneten Betrag in Höhe von 5.690,74 EUR zu erstatten;
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen;
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Bekl verweist im Wesentlichen auf den Beschluss des BFH vom 22. Januar 2013 VII S 35/12 (PKH), Juris. Entscheidend sei, dass im Streitfall das Vermögen der Klägerin aus ihrer selbständigen (gewerblichen) Tätigkeit nicht zur Insolvenzmasse gehören soll.
Die Berichterstatterin erörterte mit den Beteiligten die Sach- und Rechtslage am 8. Juli 2015.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
1. Nachdem das Einverständnis der Beteiligten vorliegt, hält es das Gericht für sachgerecht, ohne mündliche Verhandlung gemäß § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung – FG...