Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch einer nicht als Spätaussiedlerin oder Vertriebene anerkannten Ost-Oberschlesierin nach Erteilung von deutschen Personalpapieren, zwischenzeitlicher Löschung der deutschen Staatsangehörigkeit und letztendlicher Einbürgerung als Deutsche. Kindergeld
Leitsatz (redaktionell)
1. Wurde der 1990 aus Polen eingereisten Klägerin als Abkömmling deutscher Eltern aus Ost-Oberschlesien vom Bundesverwaltungsamt ein Registrierschein erteilt und wurde ihr ein deutscher Reise- und Personalausweis erteilt, so ist sie ungeachtet von § 62 Abs. 2 S. 1 EStG, trotz einer späteren, bestandskräftig gewordenen Nichtanerkennung als Spätaussiedlerin und der Ablehnung eines Antrags auf Ausstellung eines Vertriebenenausweises bis zur Rückforderung des deutschen Personalausweises und der erst 10 Jahre nach der Einreise erfolgten Löschung der deutschen Staatsangehörigkeit kindergeldberechtigt.
2. Besaß sie nach der Löschung der deutschen Staatsangehörigkeit nur noch eine Aufenthaltsbefugnis, wurde ihrem sofort gestellten Einbürgerungsantrag aber später entsprochen, war sie auch in der Zeit nach dem Einzug der deutschen Personalpapiere bis zur Einbürgerung weiter kindergeldberechtigt (analoge Anwendung von § 62 Abs. 2 EStG).
3. § 62 Abs. 2 EStG ist so auszulegen, dass er nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Daher besteht ein Kindergeldanspruch, wenn der Antragsteller über eine Rechtsposition verfügt, die zumindest der eines Ausländers mit Aufenthaltserlaubnis gleichkommt.
4. Bei Vorlage einer nur allgemein erteilten Vollmacht (ohne Zustellvollmacht) ist die Behörde nicht generell durch § 122 Abs. 1 S 3 AO 1977 zu einer Bekanntgabe von Verwaltungsakten an den Bevollmächtigten verpflichtet.
Normenkette
EStG § 62 Abs. 2 S. 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 116; BVFG § 15; AO § 122 Abs. 1 Sätze 3, 1
Nachgehend
BFH (Beschluss vom 24.10.2007; Aktenzeichen III R 88/03) |
Tenor
I. Unter Aufhebung des Bescheides vom 13. November 2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. Mai 2002 wird das Arbeitsamt verpflichtet, der Klägerin Kindergeld für die Zeit ab 1. Januar 1998 bis 30. November 2002 zu zahlen.
II. Das beklagte Arbeitsamt trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, zum einen in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Zulässigkeit des Einspruchs, zum anderen in sachlich-rechtlicher Hinsicht, ob der Klägerin ein Anspruch auf Kindergeld zusteht.
Die Klägerin ist verheiratet mit. Die Eheleute haben zwei in den Jahren 1989 und 1997 geborene Kinder, Martha und Martin.
Die Klägerin kam am 6. April 1990 mit ihrem Ehemann und ihrem 1989 geborenen Kind Martha von K in Ost-Oberschlesien (Polen) nach Deutschland. Die Familie reiste mit Übernahmegenehmigung des Bundesverwaltungsamtes ein. Das Bundesverwaltungsamt erteilte der Klägerin am 10. Mai 1990 einen Registrierschein (siehe Einbürgerungsakte der Stadt F Blatt 77, 89), da sie glaubhaft angegeben hatte, Abkömmling deutscher Eltern aus Ost-Oberschlesien zu sein. Bei ihrem Ehemann verneinte das Bundesverwaltungsamt diese Eigenschaft, bezog ihn jedoch in das Verteilungsverfahren als nichtdeutschen Ehegatten einer Deutschen ein. Einbezogen wurde auch die Tochter Martha. Auf der Grundlage der im Registrierverfahren getroffenen Feststellungen wurden der Klägerin, ihrem Ehemann und ihre Tochter Martha und später auch ihrem am 20.8.97 geborenen Sohn Martin deutsche Reisepässe und deutsche Personalausweise ausgestellt.
Mit Bescheid vom 19. August 1998 verneinte die Stadt F-Amt für Spätaussiedler – die Spätaussiedlereigenschaft der Klägerin und lehnte ihren Antrag auf Ausstellung eines Vertriebenenausweises A ab. Zuvor hatte das Amt bereits die Spätaussiedlereigenschaft des Ehemanns der Klägerin verneint. Dies hatte zur Folge, dass die Eheleute nicht als Deutsche i. S. von Art. 116 Grundgesetz galten. Demgegenüber wurde den zwei Jahre früher nach Deutschland eingereisten Eltern der Klägerin – und nach ihren Angaben auch dem später eingereisten jüngeren Bruder – die Spätaussiedlereigenschaft als Deutsche zuerkannt.
Der Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid des Amtes für Spätaussiedler blieb ohne Erfolg. Die Widerspruchsentscheidung des Regierungspräsidiums vom 30. April 1999 wurde nicht angefochtenen, der Bescheid erlangte somit am 31. Mai 1999 Rechtskraft. Mit Schreiben vom 7. Dezember 1999 wurden daraufhin von der Stadt F „Amt für öffentliche Ordnung” die Personalausweise der Eheleute und der Kinder zurückgefordert. Die Rückgabe der Personalausweise erfolgte fristgerecht am 31. Januar 2000. Die Löschung der deutschen Staatsangehörigkeit bei der Klägerin, ihrem Ehemann sowie ihren beiden Kindern erfolgte am 9. Februar 2000.
Zwischenzeitlich hatten die Eheleute mit Schreiben vom 14.1.2000 für sich und ihre Kinder die Einbürgerung als deutsche Staatsangehörige beantragt. Ihnen wurde daraufhin am 2. Februar 2000 die Aufenthaltsbefugnis erteilt. In einem Aktenvermerk der Einbürgerungsbehörde vom 5. April 2001 ist hierzu festgehalten...