rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflegeaufwendungen für die eigene häusliche Pflege einer Steuerpflichtigen mit Pflegestufe II als außergewöhnliche Belastungen: Steuerabzug auch bei Pflegeleistung durch nicht besonders qualifiziertes Pflegepersonal. Grundpflege voll, hauswirtschaftliche Versorgung dagegen nur für eine Stunde täglich absetzbar. Kürzung der außergewöhnlichen Belastungen um erhaltenes Pflegegeld
Leitsatz (redaktionell)
1. Aufwendungen für die Pflege eines Steuerpflichtigen infolge einer Krankheit sind grundsätzlich als außergewöhnliche Belastungen abziehbar. Beauftragt der Steuerpflichtige einen privaten Pflegedienst mit der Pflege in seinem eigenen Haushalt, setzt die Abziehbarkeit von Pflegeaufwendungen als außergewöhnliche Belastungen nicht voraus, dass die Pflegeleistungen von besonders qualifizierten Pflegefachkräften erbracht werden (im Streitfall: Beauftragung eines polnischen Pflegedienstes mit der Pflege einer Steuerpflichtigen mit Pflegestufe II in ihrem eigenen Haushalt).
2. Aufwendungen für die Grundpflege i. S. d. § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis 3 SGB XI (Körperpflege, Ernährung und Mobilität) sind in vollem Umfang als außergewöhnliche Belastung abziehbar. Dagegen ist bei Erwachsenen mit Pflegestufe II der Unterstützungsbedarf im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung grundsätzlich auf das zeitliche Höchstmaß von maximal 60 Minuten pro Tag begrenzt, so dass für die hauswirtschaftliche Versorgung nur die Aufwendungen für eine Stunde pro Tag als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden können. Das gilt jedenfalls dann, wenn zudem auch ein Gutachten des medizinischen Dienstes einen Hilfebedarf der Steuerpflichtigen bei den Verrichtungen des täglichen Lebens für Leistungen im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung in Höhe von 60 Minuten kalendertäglich bescheinigt hat.
3. Zu den dem Grunde nach abziehbaren Pflegeaufwendungen zählen neben Zahlungen an den Pflegedienst auch die vom Steuerpflichtigen zu stellende kostenlose Unterkunft an das jeweilige Betreuungspersonal sowie die für das Betreuungspersonal geleistete Unfallversicherung, abzüglich des erhaltenen Pflegegeldes (hier: gem. § 37 SGB XI).
Normenkette
EStG § 33 Abs. 1, 2 S. 1; SGB XI § 37; EStDV § 64
Tenor
1. Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 28. August 2015 wird der Einkommensteuerbescheid 2014 vom 15. Juli 2015 dahingehend abgeändert, dass Aufwendungen von weiteren 15.452,04 EUR als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
3. Die Hinzuziehung der Bevollmächtigten der Klägerin im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, hat der Kläger in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 EUR kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn die Klägerin nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet hat, §§ 151 FGO i.V.m. 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
5. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Abzugsfähigkeit für Aufwendungen für die eigene häusliche Pflege.
Die Klägerin (Kl.) erzielt Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Versorgungsbezüge). Seit April 2012 ist sie pflegebedürftig mit der Pflegestufe II (Bl. 107 der Gerichtsakte –GA–). Bei ihr wurden eine schwere Herzinsuffizienz mit Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit, Rückenverkrümmung, Gelenkarthrosen mit Einschränkung der körperlichen Beweglichkeit, Einschränkung der Gehfähigkeit bei Schwindelneigung und Kreislaufschwäche sowie Schultergelenksarthrosen mit Einschränkung der Beweglichkeit der Arme diagnostiziert (Bl. 110 GA). In dem Gutachten des medizinischen Dienstes der Privaten (A.) wurde festgestellt, dass eine vollstationäre Pflege nicht erforderlich ist (Bl. 112 GA). Des Weiteren wurde der Zeitaufwand für den Hilfsbedarf bei den Verrichtungen des täglichen Lebens mit insgesamt 223 Minuten kalendertäglich ermittelt (Bl. 114 GA). Hiervon entfallen auf die Körperpflege 110 Minuten, auf die Ernährung 3 Minuten und auf die Mobilität 50 Minuten. Auf den täglichen Hilfsbedarf für die sog. Grundpflege (Körperpflege, Ernährung, Mobilität) entfallen insofern 163 Minuten und für die hauswirtschaftliche Versorgung 60 Minuten. Auf die verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen entfallen für das An- und Auskleiden von Kompressionsstrümpfen ab Kompressionsklasse 2 insgesamt 8 Minuten täglich (Bl. 115 GA).
Infolge mehrerer Stürze, u.a. durch eine Glastüre, wollte die Kl. einen ständigen Bereitschaftsdienst vor Ort haben. Da die Kl. schlechte Erfahrungen bei einer Kurzzeitpflege im Heim gemacht hatte, zog sie die häusliche Pflege der stationären Heimunterbringung vor. Die Kl. beantragte daher keine Pflegesa...