Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Anspruch einer mutmaßlich durch einen Betrug in einem besonders schweren Fall (§ 263 Abs. 1, 3 StGB) geschädigten Bank auf Akteneinsicht in Steuerakten des Verdächtigen zum Zweck der Beweisführung im Zivilprozess wegen Schadensersatzes. zu den Anforderungen an die Offenbarung oder Verwertung geschützter Daten nach § 30 Abs. 4 Nr. 4 AO, § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO
Leitsatz (redaktionell)
1. Hat ein als Bürge von einer Bank in Anspruch genommener Steuerpflichtiger vor Abschluss eines Vergleichs mit der Bank dieser Vermögenswerte, u. a. bei einer Bank in der Schweiz, verschwiegen, diese Vermögenswerte bzw. die damit erzielten Einkünfte später im Rahmen einer Selbstanzeige gegenüber den Finanzbehörden nacherklärt und wurde infolge der Selbstanzeige ein Steuerstrafverfahren eröffnet, so schließt das Steuergeheimnis einen Anspruch der mutmaßlich durch einen Betrug in einem besonders schweren Fall (§ 263 Abs. 1, 3 StGB) geschädigten Bank auf Akteneinsicht in die Steuerakten des verdächtigen Steuerpflichtigen zum Zweck der Beweisführung in einem Zivilprozess wegen eines Schadensersatzesanspruchs gegen den Steuerpflichtigen aus. Eine Offenbarungsbefugnis der Finanzbehörde ergibt sich auch nicht im Wege eines subsidiären Rückgriffs auf den allgemeinen Rechtfertigungsgrund des rechtfertigenden Notstands im Sinne des § 34 StGB.
2. Eine Offenbarung geschützter Daten nach § 30 Abs. 4 Nr. 4 AO oder § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO ist nur gegenüber den jeweils zuständigen Behörden, insbesondere den Strafverfolgungsbehörden als Sachwalter des öffentlichen (Strafverfolgungs-) Interesses, nicht aber an die durch die mutmaßliche Straftat Geschädigten zulässig.
3. Ist das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren erst aufgrund der Selbstanzeige eingeleitet worden, sind die in der Selbstanzeige mitgeteilten Informationen nicht im Sinne des § 30 Abs. 4 Nr. 4 Buchst. a AO „in einem Verfahren wegen einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit erlangt worden”.
4. Die Straftat des Betrugs in einem besonders schweren Fall gemäß § 263 Abs. 1 StGB, § 263 Abs. 3 Nr. 2 Alt. 1 StGB „Vermögensverlust großen Ausmaßes”; im Streitfall: Schaden von rd. 3,7 Mio. EUR), die der Steuerpflichtige nach Auffassung der Bank zu ihrem Nachteil bzw. zum Nachteil eines Bankenkonsortiums begangen hat, stellt keinen Verbrechenstatbestand gemäß § 12 Abs. 1 StGB dar, da sie nicht im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht ist. Die begehrte Akteneinsicht ist daher nicht im Sinne des § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. a AO zur „Verfolgung von Verbrechen” erforderlich.
5. Im Hinblick darauf, dass der Steuerpflichtige mutmaßlich Vermögen im Ausland verschleiert, insbesondere Geld unter einem Pseudonym angelegt und eine Immobilie über eine sog. Strohfrau erworben und dies im Rahmen der Vergleichsverhandlungen mit der Bank ebenso wie seine Beteiligung an einer Gesellschaft nicht angegeben hat, kann grundsätzlich das Vorliegen einer Wirtschaftsstraftat im Sinne des § 74c GVG und damit auch im Sinne des § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. b AO angenommen werden. Bei einem Schaden von 3,7 Mio. EUR sind jedoch die weiteren Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. b AO, wonach die Wirtschaftsstraftat nach ihrer Begehungsweise oder wegen des Umfangs des durch sie verursachten Schadens geeignet sein muss, die wirtschaftliche Ordnung erheblich zu stören oder das Vertrauen der Allgemeinheit auf die Redlichkeit des geschäftlichen Verkehrs oder auf die ordnungsgemäße Arbeit der Behörden und der öffentlichen Einrichtungen erheblich zu erschüttern, nicht erfüllt.
6. Unter die Regelung des § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. b Alt. 1 AO fallen nach herrschender Meinung nur Straftaten mit gravierenden Auswirkungen auf das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht wie z. B. Bankzusammenbrüche oder Großinsolvenzen kriminellen Charakters mit Auswirkungen auf eine Mehrzahl von Einlegern, Zulieferbetrieben usw., Betrugstaten mit sehr hohen Schadenssummen oder sehr vielen Geschädigten.
7. Eine Wirtschaftsstraftat kann erst dann geeignet sein, das Vertrauen in die Redlichkeit des geschäftlichen Verkehrs erheblich zu erschüttern, wenn sie über den Bereich der Einzelwirtschaft hinausgehend das gesamtwirtschaftliche Gefüge beeinträchtigt.
8. Ein sog. „unbenannter Fall” eines zwingenden öffentlichen Interesses an einer Offenbarung geschützter Daten im Sinne des § 30 Abs. 4 Nr. 5 1. Halbsatz AO besteht nur, wenn im Fall des Unterbleibens der Mitteilung die Gefahr bestünde, dass schwere Nachteile für das allgemeine Wohl einträten (vgl. BVerwG, Urteil v. 2.2.1982, 1 C 146/80, DVBl 1982 S. 694).
Normenkette
AO §§ 5, 30 Abs. 1-2, 4 Nr. 4 Buchst. a, b, Nr. 5 Buchst. a, b, §§ 90, 393 Abs. 1; StGB § 12 Abs. 1, §§ 34, 263 Abs. 1, 3 Nr. 2; GVG § 74c
Tenor
1) Die Klage wird abgewiesen.
2) Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3) Die Revision wird zugelassen
Tatbestand
Die Klägerin begehrt im Hauptantrag die – inhaltlich eingeschränkte – Einsicht in die Akten über ein vom Beklagten gege...