rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Abzweigung von Kindergeld zugunsten des Sozialhilfeträgers bei erheblichen Sachunterhaltsleistungen in Form von Betreuungsaufwand gegenüber dem schwerbehinderten Kind
Leitsatz (redaktionell)
1. Von der Abzweigung des Kindergeldes ist zwingend abzusehen, wenn der Kindergeldberechtigte seiner Unterhaltsverpflichtung in Höhe des Kindergeldes oder darüber hinaus in Form von Sachunterhaltsleistungen nachkommt.
2. Zu den bei der Abzweigung zu berücksichtigenden Unterhaltsleisungen zählt auch der finanzielle Aufwand, der dem Kindergeldberechtigten im Zusammenhang mit der Aufnahme des schwerbehinderten Kindes in den Familienhaushalt an den Wochenenden und in den Schulferien entstanden ist.
3. Die Höhe der Sozialhilfeleistungen ist für die Ermessensausübung hinsichtlich der Höhe des abzuzweigenden Kindergeldes nicht entscheidend, weil es aufgrund der Zweckbestimmung des Kindergeldes allein auf die Höhe der Unterhaltsleistungen des Kindergeldberechtigten ankommt.
4. § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB XII bezweckt nicht, dass Eltern mit Zahlung des übergegangenen Betrags von ihrer Unterhaltspflicht gegenüber ihrem behinderten Abkömmling befreit werden, sondern, dass sie von weitergehenden sozialhilferechtlichen Ansprüchen des Sozialhilfeträgers verschont bleiben.
Normenkette
EStG § 74 Abs. 1 Sätze 1, 3-4, § 31 Sätze 1-2; BGB § 1610 Abs. 2; SGB XII § 94 Abs. 2 S. 1
Tenor
1. Der Abzweigungsbescheid vom 14. Juni 2007, die Einspruchsentscheidung vom 21. November 2007 und der Änderungsbescheid vom 21. Januar 2009 werden aufgehoben.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Beklagte und der Beigeladene zu gleichen Teilen.
3. Das Urteil ist wegen der dem Kläger zu erstattenden Kosten vorläufig vollstreckbar. Betragen diese nicht mehr als 1.500 EUR, ist das Urteil hinsichtlich der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte wie auch der Beigeladene können in diesem Fall die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des mit Kostenfestsetzungsbeschluss festgesetzten Kostenerstattungsbetrags abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten. Übersteigt der Kostenerstattungsanspruch den Betrag von 1.500 EUR, ist das Urteil wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des mit dem Kostenfestsetzungsbeschluss festgesetzten Erstattungsbetrages vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob das Kindergeld für ein wegen Behinderung vollstationär untergebrachtes Kind auch dann teilweise zugunsten des Sozialhilfeträgers abgezweigt werden kann, wenn die Eltern für das Kind einen erheblichen Betreuungsaufwand erbringen.
Der Kläger (Kl) ist Vater des am 27. Januar 1987 geborenen Sohnes X sowie zweier weiterer, noch minderjähriger Töchter. Daneben ist er Vater einer weiteren, älteren Tochter, für die seit dem Jahr 2000 kein Kindergeld mehr gezahlt wird.
Der Sohn des Kl leidet unter massiven motorischen Störungen und kann weder greifen noch sprechen, sitzen oder gehen. Er ist mit einem vom Versorgungsamt A… festgestellten Grad der Behinderung (GdB) von 100 schwerbehindert und lebt in der Heimsonderschule der „… Körperbehindertenschule” in V…, einem Wohnheim für behinderte Menschen. Den Aufwand für die dortige Unterbringung in Höhe von monatlich 3.800 EUR trägt der zum Klageverfahren beigeladene Landkreis C. (der Beigeladene) im Rahmen der Leistungen der Sozialhilfe für behinderte Menschen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Der Kl zahlt an den Beigeladenen einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 26 EUR gemäß § 94 Abs. 2 SGB XII.
Der Kl bewohnt mit seiner Ehefrau und den beiden minderjährigen Kindern ein Einfamilienhaus, in dem er auch für seinen behinderten Sohn ein eigenes Zimmer bereithält, damit der Sohn an den Wochenenden und in den Schulferien am Familienleben teilnehmen kann. Das Bad des Hauses hat der Kl so hergerichtet, dass es den besonderen Bedürfnissen des Sohnes gerecht wird. Der Sohn wird regelmäßig am Freitagmittag von Bediensteten der Behinderteneinrichtung gebracht und am Montagvormittag wieder abgeholt. Gelegentlich werden diese Abholfahrten sowie Fahrten zu den Arztbesuchen des Sohnes auch vom Kl oder seiner Ehefrau übernommen. In der (12 Kilometer vom Wohnhaus des Kl entfernten) Behinderteneinrichtung ist zwar eine Betreuung und Pflege des Sohnes auch an den Wochenenden gewährleistet. Der Sohn stellt indessen nicht unerhebliche Ansprüche an den persönlichen Umgang mit ihm und äußert dies durch Krankwerden, wenn er von seinen Familienangehörigen über einen längeren Zeitraum nicht hinlänglich betreut wird. Für seine Verpflegung an den Wochenenden ist die Anschaffung von Spezialnahrung in Form von Babykost erforderlich, weil der Sohn nur passierte Speisen verzehren kann. Der zwischen den Beteiligten unstreitige monatliche Aufwand des Kl für die häusliche Betreuung des Sohnes beläuft sich auf etwa 162 EUR und beruht auf den Kosten für Nahrung und Pflegemittel von 40 EUR, der ...