rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Steuerhinterziehers. Rückgriff auf die Feststellungen im strafgerichtlichen Urteil. Ermessen
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei der Prüfung der Frage, ob eine Haftungsinanspruchnahme als Steuerhinterzieher in Betracht kommt, darf das Gericht auf die Feststellungen in dem strafgerichtlichen Urteil zurückgreifen, wenn der zur Haftung herangezogene gegen diese Feststellungen keine substantiierten Einwendungen erhebt.
2. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass die Ermessensentscheidung im Fall des Vorliegens einer Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 AO dahingehend „vorgeprägt” ist, dass es in jedem Fall rechtens ist, den Täter der Steuerhinterziehung persönlich in Haftung zu nehmen.
Normenkette
AO § 191 Abs. 1 S. 1, § 34 Abs. 1, §§ 71, 370 Abs. 1, § 5; FGO § 69 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 2
Tenor
Der Antrag wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsteller auferlegt.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Antragsgegner den Antragsteller als ehemaligen Vorstandsvorsitzenden einer B… AG mit Sitz in C… wegen rückständiger Umsatzsteuerverbindlichkeiten betr. die Jahre 2010 bis einschließlich 2015 in Höhe von insgesamt 1 326 845,44 EUR persönlich in Haftung nehmen kann.
Die B… AG wurde im September 2007 mit Sitz in C…, D…-straße gegründet (UR-Nr. …/2007 des Notars E… in C…). Satzungsmäßiger Unternehmensgegenstand war „der Import, der Export, die Entwicklung, die Herstellung und der Vertrieb von Erzeugnissen der Unterhaltungselektronik”. Das Grundkapital betrug 50 000,00 EUR und entfiel jeweils zur Hälfte auf zwei Gesellschafter: den 1952 geborenen F… aus C… und den 1954 geborenen G…, ebenfalls wohnhaft in C…. Der 1952 geborene Antragsteller, ebenfalls wohnhaft in C…, wurde zum Vorstand bestellt. Die Gesellschaft wurde am 15. Oktober 2007 in das Handelsregister beim Amtsgericht (AG) C… eingetragen (HRB …).
Während sich die Schwestergesellschaft, die H… AG mit Sitz ebenfalls in C…, mit der Konfektionierung einzelner Komponenten von Satellitenempfangsanlagen mit dem Ziel der Weiterveräußerung befasste, kümmerte sich die B… AG um den Vertrieb der fertiggestellten Satellitenempfangsanlagen. Ab dem Jahr 2009 waren die Umsätze der beiden Unternehmen aus diesen Aufgabenbereichen aufgrund des technischen Fortschritts des internetbasierten Fernsehens und des damit einhergehenden Nachfragerückgangs nach TV-Satellitenempfangsanlagen sowie eines erheblichen Preisverfalls bei dieser Technik stark rückläufig.
Der Antragsteller war seit dem 21. Dezember 2005 auch Vorstandsvorsitzender der H… AG. Mitgesellschafter dieser AG war ebenfalls F…, der auch Eigentümer des Betriebsgrundstücks D…-straße in C… war.
Die B… AG wurde in steuerlicher Hinsicht bis zum 22. Dezember 2010 (= Tag des Mandatsentzugs gegenüber dem Antragsgegner) von Frau Steuerberaterin I… aus J… vertreten. Anschließend wurde sie durch Herrn Rechtsanwalt K… aus L…, M…-straße vertreten.
Mit Schreiben vom 25. Februar 2008 gestattete der Antragsgegner der B… AG unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs, die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten zu berechnen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 20 Abs. 2 UStG).
Die B… AG erklärte in den Jahren 2010 ff. folgende Umsätze und Betriebsergebnisse:
|
Umsatz: |
Betriebsergebnis: |
2010: |
2 300 387,12 EUR |
8 764,63 EUR |
2011: |
2 784 697,87 EUR |
50 891,47 EUR |
2012: |
3 156 259,57 EUR |
11 986,87 EUR |
2013: |
3 506 713.05 EUR |
26 667,17 EUR |
2014: |
3 604 546,46 EUR |
3 357,00 EUR |
2015: |
1 660 000,00 EUR |
./. 165 000,00 EUR |
Der Antragsgegner folgte zunächst den Angaben in der nach Bekanntgabe eines Schätzungsbescheides eingereichten Steuererklärung für das Jahr 2010 und setzte die Umsatzsteuer mit Bescheid vom 5. Februar 2013 auf ./. 27 362,61 EUR fest. Der Bescheid erging gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung – AO – unter Aufrechterhaltung des Vorbehalts der Nachprüfung.
Mangels fristgerechter Einreichung von Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2011 und 2012 schätzte der Antragsgegner die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 Abs. 1 AO und setzte die Umsatzsteuer mit Bescheid vom 27. Mai 2013 auf 16 451,29 EUR bzw. mit Bescheid vom 2. Oktober 2014 auf 24 742,69 EUR fest. Die Bescheide ergingen jeweils unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. In der Folgezeit reichte die B… AG die ausstehenden Umsatzsteuererklärungen beim Antragsgegner ein, die dieser zunächst jeweils ohne inhaltliche Abweichungen zum Soll stellte.
Der Antragsgegner folgte zunächst den Angaben in der Umsatzsteuererklärung 2013 vom 9. Oktober 2015 und stellte die dort erklärte Umsatzsteuer in Höhe von 19 371,97 EUR zum Soll.
Für den Zeitraum 1. Quartal 2014 sowie die Monate April 2014 bis April 2015 reichte die B… AG beim Antragsgegner jeweils Umsatzsteuervoranmeldungen ein. Die sich hieraus ergebenden Umsatzsteuerbeträge stellte der Antragsgegner jeweils zum Soll.
Ab Frühjahr 2014 führte das Finanzamt N… eine Außenprüfung bei einer O… GmbH mit Sitz in P… durch. Dabei stellte der Außenprüfer Geschäftsvorfälle fest, die mit ...