rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsätzlich keine Aktenübersendung an den Prozessbevollmächtigten im finanzgerichtlichen Verfahren
Leitsatz (redaktionell)
Die BFH-Rechtsprechung, wonach im finanzgerichtlichen Verfahren die Akteneinsichtnahme bei Gericht nach § 78 Abs. 1 und Abs. 2 FGO die Regel sein soll und eine vorübergehende Aktenüberlassung an einen Bevollmächtigten nur ausnahmsweise in Betracht kommt, verletzt keine Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte. Einem die Gewährung von Akteneinsicht im verwaltungsgerichtlichen Verfahren betreffenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts können keine Aussagen für das finanzgerichtliche Verfahren entnommen werden, da die Art und Weise, wie Akteneinsicht zu gewähren ist, in den einzelnen Verfahrensordnungen unterschiedlich geregelt werden kann, und in § 100 VwGO auch anders geregelt ist als in § 78 FGO.
Normenkette
FGO § 78 Abs. 1 S. 1, Abs. 2; VwGO § 100 Abs. 2 S. 3
Nachgehend
Tenor
Der Antrag auf Übersendung der Akten des Beklagten in die Kanzleiräume wird abgelehnt.
Gründe
Der Bevollmächtigte hat mit Antragstellung um Übersendung der Steuerakten in seine Kanzleiräume für die Dauer von 3 Werktagen gebeten. Auf den Hinweis des Vorsitzenden, dass der Bevollmächtigte nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs keinen Rechtsanspruch auf eine Akteneinsicht in seinen Geschäftsräumen habe, aber die Möglichkeit bestehe, die Akten in einem nahegelegenen Finanzamt, Hauptzollamt, Amtsgericht oder Finanzgericht einzusehen, hat der Bevollmächtigte seinen Antrag wiederholt. Er vertritt die Auffassung, die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sei durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Februar 1998 überholt. Als Organ der Rechtspflege biete er, der Bevollmächtigte, die Gewähr dafür, dass die Aktenübersendung gerade nicht zu Unzuträglichkeiten führe. Die aufgezeigte Möglichkeit, die Akten an ein nahegelegenes Gericht zu übersenden, sei unverhältnismäßig und verletze das Recht auf ungestörte Akteneinsicht. Bei einer Akteneinsicht außerhalb der Kanzleiräume sei er gezwungen, selbst kostenpflichtige Kopien auf der jeweiligen Geschäftsstelle fertigen zu lassen, während er in der Kanzlei geschultes Personal dafür vorhalte und er sich auf die juristische Arbeit konzentrieren könne. Eine Durchsicht der Akten auf der Geschäftsstelle des Gerichts könne nur bei sehr einfach gelagerten Sachverhalten sachdienlich sein.
Der Antrag auf Übersendung der Akten des Beklagten in die Geschäftsräume ist unbegründet.
Gemäß § 78 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) können die Beteiligten die Gerichtsakte und die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen und sich auf ihre Kosten durch die Geschäftsstelle Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften erteilen lassen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ergibt sich aus dem Begriff „einsehen” und der Regelung über die Erteilung von Abschriften usw. durch die Geschäftsstelle, dass die Einsichtnahme der Akten bei Gericht die Regel sein soll und eine vorübergehende Überlassung von Akten an den Prozessbevollmächtigten nur ausnahmsweise in Betracht kommt (z.B. Beschlüsse des BFH vom 11. Juni 2002 V B 5/02, BFH/NV 2002, 1464; vom 26. Januar 2006 III B 166/05, BFH/NV 2006, 963).
Gründe, die es ausnahmsweise rechtfertigen könnten, die Akten in die Kanzleiräume zu übersenden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Bevollmächtigte benennt lediglich die Nachteile, die üblicherweise mit einer Akteneinsicht außerhalb der Geschäftsräume verbunden sind. Der Senat hält es daher für ermessensgerecht, den Antrag auf Übersendung der Akten in die Kanzleiräume abzulehnen.
Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten verletzt die Rechtsprechung des BFH keine Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr durch Beschluss vom 8. Oktober 2002 1 BvR 1503/02 (Deutsche Steuer-Zeitung 2003, 46) die Verfassungsbeschwerde gegen den BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 1464, der auf der vorgenannten Rechtsprechung beruhte, nicht zur Entscheidung angenommen.
Dem vom Bevollmächtigten zitierten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, der die Gewährung von Akteneinsicht im verwaltungsgerichtlichen Verfahren betraf (§ 100 Abs. 2 Satz 3 –VwGO a.F.–), können, weil sich die Regelung dort vom Akteneinsichtsrecht nach § 78 FGO unterscheidet, keine Aussagen für das finanzgerichtliche Verfahren entnommen werden (BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 963). Wie das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 26. August 1981 2 BvR 637/81 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1982, 77; bestätigt durch BVerfG-Beschluss vom 11. Juli 1984 1 BvR 1523/83, Die Information über Steuer und Wirtschaft 1984, 478) klargestellt hat, kann die Art und Weise, wie Akteneinsicht zu gewähren ist, in den einzelnen Verfahrensordnungen unterschiedlich geregelt werden.
Fundstellen