Entscheidungsstichwort (Thema)
Entbindung vom Steuergeheimnis bei Verbreitung gravierender unwahrer Behauptungen über ein angebliches willkürliches und schikanöses Verwaltungshandeln einer Finanzbehörde gegen ein Mitglied des Petitionsausschusses und des Abgeordnetenhauses des Landes Berlin
Leitsatz (redaktionell)
1. Dass nach § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. c AO die Offenbarung von grundsätzlich durch das Steuergeheimnis geschützten Verhältnissen zulässig ist, wenn die Offenbarung zur Richtigstellung in der Öffentlichkeit verbreiteter unwahrer Tatsachen erforderlich ist, soll das Vertrauen der Allgemeinheit in die integre Arbeit der betroffenen Behörde schützen. Für die Befugnis zur Offenbarung ist unerheblich, ob der durch das Steuergeheimnis geschützte Steuerpflichtige selbst oder Dritte die unwahren Tatsachen verbreitet haben. Die Entscheidung über die Offenbarung ist eine Ermessensentscheidung, die vom Gericht nur in den Grenzen des § 102 FGO überprüft werden kann (Ausführungen zum Rechtsschutz und Rechtsweg des von einer Offenbarung nach § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. c AO betroffenen Steuerpflichtigen).
2. Die in der Öffentlichkeit verbreiteten Behauptungen, dass eine Behörde der Finanzverwaltung wegen einer einzigen versehentlich unbezahlten Steuerforderung ohne Vorwarnung das Konto eines Mitglieds des Abgeordnetenhauses und des Petitionsausschusses des Landes Berlin gepfändet und ihn auf diese Weise schikaniert und unter Druck gesetzt habe, weil er sich im Petitionsausschuss für einen Petenten aus dem Dienst der Finanzverwaltung eingesetzt habe, und dass bei dem Abgeordneten ohne sachlichen Grund und zum Zwecke der Einflussnahme im Zusammenhang mit Petitionsverfahren eine Außenprüfung durchgeführt worden sei, haben die betroffene Behörde nach § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. c AO jedenfalls dann berechtigt, zu den Vorwürfen durch eine Pressemitteilung Stellung zu nehmen und diese Mitteilung über das Internet dauerhaft abrufbar zu machen, wenn die Vorwürfe zur Überzeugung des Gerichts unwahr sind, von dem Abgeordneten aber in der Öffentlichkeit nicht ausgeräumt worden sind (im Streitfall: Pfändung, weil der Abgeordnete erhebliche Steuerrückstände hat und eine Ratenzahlungsvereinbarung nicht eingehalten wurde; eine Außenprüfung fand bei dem Abgeordneten tatsächlich nicht statt).
3. „Unwahre Tatsachen” i.S. von § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. c AO können auch durch unvollständige Sachdarstellungen verbreitet werden.
Normenkette
AO § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. c; FGO § 33 Abs. 1 Nr. 1, §§ 114, 102; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5, 19 Abs. 4
Nachgehend
Tenor
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsteller auferlegt.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Der Antragsteller war im Jahre 2004 Mitglied des Abgeordnetenhauses des Landes Berlin, ferner auch Mitglied des Petitionsausschusses des Abgeordnetenhauses. Diese Ämter hat er auch noch heute inne.
Am 19.03.2003, 05.11.2004 und 06.12.2004 gingen beim Petitionsausschuss Petitionen von Beamten eines Berliner Finanzamts ein, in denen diese den Vorwurf erhoben, in ihrem Amt Mobbing ausgesetzt zu sein. In seiner Funktion als Mitglied des Petitionsausschusses befasste sich u. a. der Antragsteller mit diesen Vorwürfen. Am 07.12.2004 wurde der Vorsteher des betroffenen Finanzamtes durch den Petitionsausschuss angehört. Am 15.12.2004 gab der Vorsitzende des Petitionsausschusses, der Abgeordnete A, eine Presseerklärung heraus, in der er die Einschätzung äußerte, dass die Mobbing-Vorwürfe berechtigt seien.
(wird ausgeführt)
Am 08.07.2007 erhob die Zeitschrift „steuertip” den Vorwurf, nachdem der Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses der Senatsverwaltung eine Rüge erteilt habe, seien als Retourkutsche prompt gegen die führenden Ausschussmitglieder von SPD, CDU und FDP Betriebsprüfungen in Gestalt von Tiefenprüfungen durchgeführt worden. Am 16.08.2007 berichtete die Tageszeitung X, dass der Antragsteller sowie der Abgeordnete A und der ehemalige Abgeordnete B einen „Gegenbesuch” erhalten hätten. Am gleichen Tag äußerte sich der Antragsteller in einem Fernsehbeitrag dahin gehend, dass das ganze eine Retourkutsche der Verwaltung sei, um die Abgeordneten einzuschüchtern, damit sie die Dinge nicht so weiterverfolgen, wie sie das bisher sehr intensiv getan hätten. Die Finanzverwaltung habe eindeutig versucht, am Anfang der Legislaturperiode zu beeinflussen, dass er – wenn er dann wieder im Petitionsausschuss sein sollte – das öffentliche Dienstrecht dann nicht mehr als Aufgabengebiet habe.
In einer Presseerklärung Nr. 07-044 vom 17.08.2007 wies der Antragsgegner die Vorwürfe gegen die Finanzverwaltung zurück, wies jedoch wegen der Einzelheiten daraufhin, dass er dem Steuergeheimnis unterliege.
Am 22.08.2007 berichtete die Tageszeitung Y, dass bei den Herren B und A Tiefenprüfungen ...