rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld für das im Haushalt der Mutter in Polen lebende Kind, wenn dort kein Anspruch auf Familienleistungen besteht
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Vater eines in Polen bei seiner Mutter lebenden minderjährigen Kindes hat Anspruch auf Kindergeld in voller Höhe, wenn die Mutter bei summarischer Prüfung im Prozesskostenhilfeverfahren unabhängig vom Bestehen einer Erwerbstätigkeit wegen Überschreitung der Einkommensgrenzen keinen vorrangigen Anspruch auf polnische Familienleistungen hat.
2. Dem steht die Haushaltsaufnahme des Kindes in Polen nicht gem. § 64 Abs. 2 S. 1 EStG entgegen, denn Art. 60 Abs. 1 Satz 2 Verordnung (EG) Nr. 987/2009 erweitert den Kreis der Kindergeldberechtigten nicht, sondern dient der Koordinierung, stellt innerhalb der Gemeinschaft eine Gleichbehandlung sicher, verhindert die Kumulierung von Ansprüchen und soll die Wahrung erworbener Ansprüche gewährleisten.
3. Die in Art. 68 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 für das Zusammentreffen von Ansprüchen in mehreren Mitgliedstaaten vorgesehenen Prioritätsregeln sind nicht anzuwenden, wenn für ein Familienmitglied aufgrund nationaler Vorschriften z. B. wegen Alters- oder Einkommensgrenzen keine Familienleistungen zustehen.
Normenkette
EStG § 64 Abs. 2 S. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3, § 70 Abs. 3; EGV 883/2004 Art. 68, 67 S. 1, Art. 11 Abs. 3 Buchst. a; EGV 987/2009 Art. 60 Abs. 1 S. 2; EWGV 1408/71; EWGV 574/72; FGO § 142 Abs. 1; ZPO § 114
Tenor
Dem Antragsteller wird für die erste Instanz Prozesskostenhilfe aus einem Streitwert von 1.000,– EUR bewilligt.
Tatbestand
I.
Der Antragsteller ist der Vater des am ….05.2005 geborenen B., der bei seiner Mutter J. in Polen wohnt. Die Kindesmutter und der Antragsteller sind und waren nicht verheiratet. Neben B. hat der Antragsteller noch zwei ältere Kinder, die aus einer zwischenzeitlich geschiedenen Ehe stammen.
Nach seinem Umzug von C. nach D. übersandte der Antragsteller der Familienkasse D. Nord der Bundesagentur für Arbeit (im folgenden: Familienkasse) einen von dieser angeforderten Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs auf Kindergeld. In dem beigefügten Anschreiben vom …03.2009 gab er an, es sei ihm weder bekannt, wie das Erwerbsleben der Mutter von B. in Polen aussehe, noch, ob sie irgendwelche Leistungen beziehe. Dementsprechend waren die diesbezüglichen Fragen in dem Fragebogen gestrichen und mit dem Vermerk „ist mir nicht bekannt” versehen. Er selber sei seit November 2008 unselbständig erwerbstätig; laut der beigefügten Arbeitgeber-Bescheinigung handelte es sich um eine versicherungspflichtige Tätigkeit.
Auf Anforderung der Familienkasse aus März 2009 übersandten die polnischen Behörden mit Anschreiben vom …06.2009 die Bescheinigungen E 401 und E 411. In dem Anschreiben wurde ausgeführt, die Kindesmutter sei zweimal mit der Bitte um Zusendung der zur Bestätigung der Formulare notwendigen Unterlagen angeschrieben worden. Aufgrund fehlender Antwort könne das Formular E 411 nicht bestätigt werden. Die Bescheinigung des für Familienleistungen zuständigen Trägers des Wohnortes der Familienangehörigen (E 411) war dementsprechend nicht ausgefüllt. In der Familienstandsbescheinigung (E 401) wurde angegeben, die Kindesmutter übe eine Erwerbstätigkeit aus „Ja”).
Auf einen Teil-Aufhebungsbescheid vom …08.2009 zur Anrechnung der vorrangigen polnischen Familienleistungen wegen Erwerbstätigkeit der in Polen wohnenden Kindesmutter führte der Antragsteller in seinem Einspruch vom …08.2009 aus, der Kindesmutter stünden in Polen keine Familienleistungen zu. Die Kindesmutter habe in einer Gerichtsverhandlung im Jahr 2009 in Polen angegeben, sie verfüge über ein monatliches Einkommen in Höhe von 1.000,– PLN. Da er Barunterhalt an B. in Höhe von 350,– PLN leiste, betrage das Pro-Kopf-Einkommen 675,– PLN, so dass die in Polen geltende Einkommensgrenze von 504,– PLN überschritten werde.
Anfang November 2009 gingen bei der Familienkasse auf deren erneute Anforderung aus Juni 2009 wiederum die Bescheinigungen E 401 und E 411 mit einem Anschreiben vom 22.10.2009 ein. Das Anschreiben war wörtlich identisch mit dem vom …06.2009. Auch die Bescheinigung E 411 war erneut nicht ausgefüllt. Abweichend von der vormaligen Bescheinigung wurde in der Familienstandsbescheinigung (E 401) erklärt, die Kindesmutter übe eine Erwerbstätigkeit nicht aus „Nein”).
Mit Schreiben vom …01.2010 forderte die Familienkasse den Antragsteller auf, den polnischen Ablehnungsbescheid zu übersenden, weil die Kindesmutter nicht reagiert habe. Der Antragsteller erwiderte mit Schreiben vom …02.2010, er sei zur Vorlage nicht in der Lage, weil er nicht berechtigt sei, einen Antrag auf polnische Familienleistungen zu stellen. Gegenüber der Kindesmutter habe er keinen Rechtsanspruch darauf, dass diese Familienleistungen beantrage oder einen eventuellen Ablehnungsbescheid herausgebe.
Durch Einspruchsentscheidung vom …05.2010 wies die Familienkasse den Einspruch gegen den Teil-Aufhebungsbescheid vom …08.2009 unter Berufung auf ...