rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Abzweigung von Kindergeld an das Kind selbst bwz. an einen Dritten. Ermessensausübung der Höhe nach bei Unterhaltszahlungen, die geringer sind als das Kindergeld
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Zweck des § 74 Abs. 1 EStG liegt stets darin, dass dann, wenn der Kindergeldberechtigte keine bzw. nur geringe Aufwendungen für den Unterhalt des Kindes trägt, das Kindergeld nicht ihm, sondern entweder dem Kind oder aber demjenigen zugute kommen soll, der dem Kind tatsächlich Unterhalt gewährt.
2. Beträgt der von der Mutter an ihr volljähriges, im eigenen Haushalt lebendes Kind geleistete Barunterhalt weniger als das zur Auszahlung gelangte gesetzliche Kindergeld, so kommt es für die Tatbestandsvoraussetzung der Abzweigung nicht auf eine nähere Prüfung der Leistungsfähigkeit der Mutter oder des Unterhaltsbedarfs des Kindes an. Bei der Ermessensentscheidung über die Höhe des abzuzweigenden Kindergeldes sind jedoch auch geringe Unterhaltsleistungen zu berücksichtigen.
3. Zahlt die Familienkasse das Kindergeld pflichtwidrig weiterhin an die kindergeldberechtigte Mutter aus, anstatt es vorläufig bis zur Entscheidung über den Abzweigungsantrag des Kindes einzubehalten, so führt die Auszahlung nicht zum Erlöschen des Anspruchs.
Normenkette
EStG 2002 § 74 Abs. 1; AO §§ 5, 47, 224
Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 08.06.2006, geändert durch Bescheid vom 22.01.2007, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.06.2007 verpflichtet, die Klägerin über ihren Antrag auf Abzweigung von Kindergeld an sie für den Zeitraum von Mai bis Dezember 2006 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden zu 20% der Klägerin und zu 80% dem Beklagten auferlegt. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die im Jahre 1984 geborene Klägerin studierte seit dem Wintersemester 2003/2004 an der Universität C und lebte im hier streitigen Zeitraum Mai bis Dezember 2006 nicht mehr im Haushalt ihrer beigeladenen kindergeldberechtigten Mutter. Mit Schreiben vom 24./29.4.2006 beantragte die Klägerin, das Kindergeld an sie auszuzahlen, weil ihre Mutter keinen Unterhalt für sie leiste. Nachdem die Beigeladene für den Monat Mai 2006 Bankbelege zur Überweisung von Unterhalt in Höhe von 64,52 EUR sowie eines Abzahlungsteilbetrages für den Kauf eines Laptops in Höhe von 66,00 EUR vorgelegt hatte, lehnte der Beklagte den Abzweigungsantrag durch Bescheid vom 08.06.2006 mit der Begründung ab, die Beigeladene sei ihrer Unterhaltspflicht gegenüber der Klägerin nachgekommen. Im nachfolgenden Einspruchsverfahren bemühte sich der Beklagte um Klärung der Frage, welchen Unterhaltsbedarf die Klägerin habe und inwieweit die Beigeladene unter Berücksichtigung ihrer Leistungsfähigkeit zur Unterhaltsleistung verpflichtet sei. Bis Dezember 2006 zahlte der Beklagte das Kindergeld weiterhin an die Beigeladene aus. Schließlich ordnete der Beklagte mit Bescheid vom 22.01.2007 die Abzweigung von Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR an die Klägerin ab Januar 2007 an. Den für die Monate Mai bis Dezember 2006 aufrecht erhaltenen Einspruch wies der Beklagte durch Einspruchsentscheidung vom 20.06.2007 mit der Begründung zurück, es gestalte sich für die Familienkasse äußerst schwierig, im Einzelfall die unterhaltsrelevanten Verhältnisse festzustellen. Könne die Familienkasse anhand der vorliegenden Unterlagen bzw. Nachweise nicht objektiv feststellen, dass die Abzweigungsvoraussetzungen erfüllt seien, habe es der betroffene Antragsteller hinzunehmen, dass der Abzweigungsantrag abgelehnt werde. Im Übrigen sei eine Abzweigung nicht möglich, wenn das Kindergeld, wie hier, bereits ausgezahlt worden sei.
Im Klageverfahren räumte die Klägerin unter Vorlage von Kontoauszügen ein, dass die Beigeladene ihr in den Monaten Mai bis September 2080 jeweils 64,52 EUR und in den Monaten Oktober bis Dezember 2008 jeweils 32,00 EUR Unterhalt überwiesen habe. Die Beträge lägen weit unter dem Betrag des Kindergeldes, das dem Kind zugute zu kommen habe und nicht der Alimentierung der Eltern diene. Angesichts der vom Beklagten inzwischen selbst festgestellten Leistungsfähigkeit der Beigeladenen habe diese dauerhaft und keineswegs nur unwesentlich ihre Unterhaltspflicht verletzt. Behauptete weitere Unterhaltsleistungen, auch in Form von Naturalunterhalt, seien von der Klägerin nicht erbracht worden.
Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,
den Bescheid über die Ablehnung der Abzweigung des Kindergeldes 08.06.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.06.2007 aufzuheben, soweit die Abzweigung von Kindergeld für die ...