Entscheidungsstichwort (Thema)
Aus Diavortrag, Kommentierung und Gesang bestehende Show eines Sängers und Bildjournalisten als umsatzsteuerrechtlich einheitliche komplexe, nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG vollumfänglich steuersatzermäßigte Leistung
Leitsatz (redaktionell)
1. Veranstaltet ein als Sänger und Bildjournalist tätiger diplomierter Opern- und Chansonsänger Shows, bei denen er zuvor auf Reisen im In- und Ausland fotografisch aufgenomme Bilder präsentiert, die gezeigten Dias kommentiert und passend zu den gezeigten Regionen Gesangsdarbietungen anbietet, ist umsatzsteuerrechtlich nicht von selbständigen Leistungsbestandteilen, sondern von einer einheitlichen komplexen Leistung auszugehen, wenn die einzelnen Komponenten der Show, mithin Dia-Vortrag, Erzählung und Gesang, durch ein Drehbuch aufeinander abgestimmt sind, in zeitlicher Hinsicht ineinander greifen und sich zu einem untrennbaren wirtschaftlichen Vorgang verbinden.
2. Diese einheitliche komplexe Leistung stellt insgesamt als künstlerisches Gesamtwerk eine „den Theatervorführungen und Konzerten vergleichbare Darbietung eines ausübenden Künstlers” im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG dar, wenn durch den dramaturgischen Aufbau der Veranstaltungen, die auf Grundlage eines Drehbuchs ablaufen und deren Elemente detailliert aufeinander abgestimmt sind, bestimmte Effekte beim Publikum ausgelöst werden. Insoweit ist es unerheblich, dass ein einzelner Bestandteil (die Dia-Show) für sich betrachtet nicht der Steuersatzermäßigung unterläge (Abgrenzung zur EuGH- und BFH-Rechtsprechung).
3. Eine Steuersatzermäßigung ist nicht insgesamt ausgeschlossen, wenn eine einheitliche komplexe Leistung aus verschiedenen Leistungselementen besteht und zumindest ein Element isoliert betrachtet nicht der Steuersatzermäßigung unterläge.
Normenkette
UStG § 3 Abs. 9, § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a; MwStSystRL Art. 98 Abs. 2
Nachgehend
Tenor
Die Umsatzsteuerbescheide 2014 bis 2016, jeweils vom 27. Juni 2019, sowie der Umsatzsteuerbescheid 2017 vom 5. Juli 2019, sämtlichst in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. März 2020, werden dahingehend geändert, dass die Umsätze aus den „B.-Shows” nicht als Umsätze zu 19 %, sondern erklärungsgemäß als Umsätze zu 7 % berücksichtigt werden.
Die Berechnung der Steuer wird gemäß § 100 Abs. 2 Satz 3 Finanzgerichtsordnung – FGO – dem Beklagten übertragen.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger, ein diplomierter Opern- und Chansonsänger, war in den Streitjahre 2014 bis 2017 als Sänger und Bildjournalist tätig und veranstaltete sog. „B.-Shows”. Bei diesen Shows präsentierte der Kläger Bilder, die er zuvor auf Reisen im In- und Ausland fotografisch aufgenommen hatte. Zugleich kommentierte er auf den Veranstaltungen die gezeigten Dias und bot passend zu den gezeigten Regionen Gesangsdarbietungen dar. Während einer Veranstaltung wurden ca. 600 Bilder gezeigt. Hierbei handelte es sich nicht nur Fotos des Klägers, sondern auch um Bilder eines ehemaligen Bühnenbildners, die speziell für die jeweilige Veranstaltung angefertigt und in die Bildfolge eingereiht wurden.
[…] Von Mitwirkenden und Besuchern der Veranstaltungen wurden diese u.a. wie folgt beschrieben:
„Die Gestaltung des Programms war außergewöhnlich und holte durch seine künstlerische Vielschichtigkeit jeden Gast im Publikum dort ab, wo er sich gerade befand. Ich kann mich noch an eine Vorstellung erinnern, in der es um C. und die Region zwischen D. und E. ging. Ein Thema, das aufgrund der Vertreibung 1945 und dem persönlichen Erleben vieler Einwohner auf der Insel F. nach wie vor sehr lebendig ist. A. verstand es, sich dieser Thematik sensibel und umfassend anzunähern. Er nahm die Besucher im Haus des Gastes mit auf eine Reise in die Vergangenheit. Er sang für sie Lieder, spielte lokale Musik, die bei vielen Gästen Erinnerungen weckten. Einfühlsam erzählte er Geschichten, berichtete über Leute, die er auf der Reise getroffen hatte, ihren Schicksalen und streute dazu Bilder ein, die das Gesagte untermalten. Es ist ohne Zweifel das künstlerische Zusammenspiel aus Musik, Gesang, Rezitation, Erzählen und die Untermalung durch Bilder, was A. Reportagen zu etwas Einzigartigem werden lassen.”
„Wahrlich, es war ein Konzert für die Augen, die Ohren und für den Geist – so richtig zum Wohlfühlen. Als Theaterwissenschaftler, Filmregisseur sowie Drehbuchautor weiß ich wohl zu schätzen, was für unendlich viel Arbeit in einem solchen Werk steckt. Und was waren das für Aufnahmen! Bilder, die nicht nur aufnahmetechnisch überzeugten, sondern Zeugnis von einer hohen künstlerischen Empfindsamkeit abl...