rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Klageart für Beantragung eines höheren Kostenerstattungsbetrags in Kindergeldangelegenheiten nach § 77 EStG. Anwendbarkeit des § 108 Abs. 3 AO für den Drei-Tages-Bekanntgabe-Zeitraum des § 122 Abs. 2a AO bei elektronischer Bekanntgabe eines Verwaltungsakts. für Kostenerstattung nach § 77 EStG maßgeblicher Geschäfts- bzw. Streitwert. Berücksichtigung von über den Gegenstand des Klageverfahrens hinausgehenden zukünftigen Kindergeldansprüchen beim Streitwert nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG und § 52 Abs. 3 Satz 3 GKG
Leitsatz (redaktionell)
1. Für die Beantragung eines höheren als des von der Behörde bislang festgesetzten Kostenerstattungsbetrags nach § 77 EStG ist die statthafte Klageart die Verpflichtungsklage und nicht die Anfechtungsklage (gegen FG Hamburg, Urteil v. 6.6.2017, 5 K 148/16 sowie gegen FG Köln, Urteil v. 17.7.2018, 1 K 1443/17).
2. Bei elektronischer Bekanntgabe eines Verwaltungsakts ist auf den Drei-Tages-Zeitraum nach § 122 Abs. 2a AO die Regelung zum Fristende nach § 108 Abs. 3 AO anwendbar, sodass es zu einer Verschiebung des Bekanntgabedatums von einem Sonntag, einem gesetzlichen Feiertag oder einem Sonnabend auf den nächstfolgenden Werktag kommt.
3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten kann die Behörde auch ohne ausdrückliche Tenorierung konkludent nach § 77 Abs. 2 EStG für notwendig erklären, indem sie im Rahmen der Kostenfestsetzung die Rechtsanwaltsgebühren dem Grunde nach als erstattungsfähig behandelt vgl. (FG Düsseldorf, Urteil v. 31.3.2006, 18 K 1795/05 Kg).
4. Die Höhe der auf Antrag nach § 77 Abs. 3 Satz 1 EStG für die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts festzusetzenden Kosten richtet sich nach den Vorschriften des RVG. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG sind für die Bestimmung des Gegenstandswerts in gerichtlichen Verfahren die Vorschriften des GKG maßgeblich. Diese Wertvorschriften gelten gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 RVG entsprechend für die Tätigkeit außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens, wenn der Gegenstand der Tätigkeit auch Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein könnte. Hiervon ist bei einem außergerichtlichen Vorverfahren in Kindergeldangelegenheiten auszugehen.
5. § 52 Abs. 3 Satz 3 GKG ist nicht als eine die Regelung nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG im Ganzen verdrängende Spezialregelung zu verstehen. Vielmehr konkretisiert und begrenzt § 52 Abs. 3 Satz 3 GKG lediglich die Höhe des Betrages der zukünftigen Auswirkungen für den Kläger, der nur unter den Voraussetzungen von § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG in den Streitwert einfließt, also wenn die zukünftigen Auswirkungen dem Grunde nach offensichtlich absehbar sind (Anschluss an FG Düsseldorf, Beschluss v. 27.7.2021, 7 K 1179/20 Kg und FG Baden-Württemberg, Beschluss v. 15.3.2017, 11 KO 3702/16; gegen Hessisches FG, Beschluss v. 8.7.2022, 2 K 1836/18 sowie gegen FG Münster, Beschluss v. 19.2.2015, 4 K 4115/14 Kg (PKH).
6. Die Feststellung offensichtlich absehbarer zukünftiger Auswirkungen im Sinne des § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG kann auch darauf gestützt werden, dass die Behörde ihr Handeln im Verwaltungsverfahren bezüglich zukünftiger Regelungszeiträume an der Entscheidung im Verwaltungsverfahren betreffend dem zu betrachtenden gegenwärtigen Regelungszeitraum ausrichtet.
Normenkette
EStG § 77 Abs. 1-2, 3 S. 1; GKG § 42 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, § 52 Abs. 3 Sätze 1-3; FGO § 40 Abs. 1; AO § 108 Abs. 3, § 122 Abs. 2a; RVG § 23 Abs. 1 Sätze 1, 3
Tenor
Die Beklagte wird verpflichtet, den Kostenfestsetzungsbescheid vom 06.01.2023 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 08.03.2023 dahingehend zu ändern, dass die Gebühren und Auslagen des Prozessbevollmächtigten des Klägers i. H. v. 334,75 EUR zu erstatten sind.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Streitig ist, ob im Rahmen der Erstattung von Rechtsanwaltsgebühren nach § 77 Abs. 2 Einkommensteuergesetz –EStG– beim Gegenstandswert für die Vertretung in einem erfolgreichen Einspruchsverfahren gegen die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung nach § 52 Abs. 3 Satz 2, Satz 3 Gerichtskostengesetz –GKG– zukünftige Auswirkungen über den Monat der Einspruchsentscheidung hinaus zu berücksichtigen sind.
Der Kläger ist der Vater der am 07.06.1999 geborenen B…. Der Kläger, B… und die (nach dem hier relevanten Zeitraum verstorbenen) Ehefrau des Klägers (Mutter von B…) hatten einen gemeinsamen Wohnsitz in Polen. Zudem hatte der Kläger einen Wohnsitz in Deutschland. Der Kläger erzielte in Deutschland bis April 2019 Einkünfte aus einer selbständigen Tätigkeit und seit Mai 2019 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die Kindesmutter erzielte in Polen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Mit Bescheid vom 24.09.2018 hob die Beklagte die zu...