Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Nichtigkeit, sondern Bindungswirkung eines systemwidrig den Kindergeldanspruch für mehrere künftige Jahre konkret regelnden Kindergeldablehnungsbescheides. keine spätere Änderung dieses bestandskräftig gewordenen Ablehnungsbescheids wegen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Abziehbarkeit von gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträgen bei der Ermittlung des Grenzbetrags
Leitsatz (redaktionell)
1. Hat die Familienkasse bei Eintritt der Volljährigkeit des in Berufsausbildung befindlichen Kindes im Jahr 2003 aufgrund der vom Ausbildungsbetrieb bescheinigten Ausbildungsbezüge die Kindergeldfestsetzung aufgehoben und die weitere Festsetzung von Kindergeld für die Zeit bis zur voraussichtlichen Beendigung der Berufsausbildung im Jahr 2006 abgelehnt, weil die künftigen Einkünfte den Grenzbetrag i.S. v. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG mutmaßlich überschreiten würden, so ist der bestandskräftig gewordene Kindergeldablehnungsbescheid für einen mehrjährigen Prognosezeitraum zwar system- und rechtswidrig, aber nicht nichtig.
2. Stellt sich nachträglich heraus, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Abziehbarkeit der gesetzlichen Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung von den Einkünften des Kindes (BVerfG, Beschluss v. 11.1.2005, 2 BvR 167/02) unter dem Grenzbetrag, ohne die geänderte rechtliche Beurteilung durch diese Rechtsprechung aber wie prognostiziert tatsächlich über dem Grenzbetrag gelegen hätten, so kann der bestandskräftige und rechtswidrige Kindergeldablehnungsbescheid nicht rückwirkend nach § 70 Abs. 4 EStG zugunsten der kindergeldanspruchsberechtigten Eltern geändert werden.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 2, § 70 Abs. 4; AO § 125 Abs. 1; BVerfGG § 79 Abs. 2 S. 1, § 95 Abs. 2, § 78
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger erhielt für seinen im Jahre 1985 geborenen Sohn B, der sich vom 01.09.2002 bis Anfang Februar 2006 in einer Berufsausbildung zum … befand, zunächst Kindergeld bewilligt und ausgezahlt. Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 19.09.2003 lehnte der Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes für die Zeit vom 01.11.2003 bis 28.02.2006 mit der Begründung ab, dem Kind stünden aufgrund prognostischer Berechnung der durch die … GMBH bescheinigten Ausbildungsvergütung Einkünfte und Bezüge von mehr als dem anteiligen Grenzbetrag in Höhe von 1.198,00 EUR für das Kalenderjahr 2003 und 7.188,00 EUR weiter jährlich zu. Unter dem 22.02.2006 beantragte der Kläger gestützt auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11.01.2005, ihm rückwirkend ab November 2003 Kindergeld für seinen Sohn zu gewähren. Mit Bescheid vom 22.02.2006 setzte der Beklagte für das Kind zwar erneut Kindergeld ab 01.02.2006 fest, lehnte dies jedoch rückwirkend für den Zeitraum von November 2003 bis Januar 2006 mit der Begründung ab, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.01.2005 zur Anrechnung von gesetzlichen Sozialversicherungsbeträgen könne nur auf noch nicht bestandskräftig beschiedene Festsetzungszeiträume angewendet werden. Eine Korrektur wegen „revidierter Rechtsanwendungsvorschriften” gebe es nicht. Den hiergegen eingelegten Einspruch, mit dem der Kläger geltend machte, es sei bislang nicht zu einer Überprüfung des nur vorläufigen Prognosebescheides vom 19.09.2003 gekommen, diese führe nunmehr aber unter Berücksichtigung des Arbeitnehmeranteils an den Sozialversicherungsbeiträgen für alle drei Kalenderjahre zu dem Ergebnis der Unterschreitung des maßgeblichen Grenzbetrags, wies der Beklagte durch Einspruchsentscheidung vom 06.04.2006 zurück. In dem Festsetzungsbescheid vom 19.09.2003 sei ein konkreter Regelungszeitraum festgelegt worden, so dass die Bestandskraft und Bindungswirkung auch genau für diesen Zeitraum eintrete. Eine Korrektur gemäß § 70 Abs. 4 Einkommensteuergesetz – EStG – aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts sei grundsätzlich nicht zulässig, weil eine Änderung der Rechtsauffassung durch die Rechtsprechung kein nachträgliches Bekanntwerden im Sinne dieser Vorschrift darstelle.
Zur Begründung der hiergegen erhobenen Klage vertieft der Kläger sein Vorbringen, die Familienkasse habe die Kindergeldzahlung im vorliegenden Fall allein aufgrund einer Prognose abgelehnt. Die tatsächliche Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes könne indessen erst nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres feststehen. Damit liege ein nachträgliches Bekanntwerden der tatsächlichen Höhe der Einkünfte im Sinne des § 70 Abs. 4 EStG vor. Unabhängig davon habe auf den erneuten Antrag des Klägers Kindergeld deshalb bewilligt werden können, weil sich die Bindungswirkung des bestandskräftigen Ablehnungsbescheides auf den Monat seiner Bekanntgabe beschränkt habe. Soweit der Able...