Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung von bestandskräftigen Einkommensteuerbescheiden, in denen Kindesunterhalt aufgrund unrichtiger eigener Angaben des Steuerpflichtigen in den über ELSTER erstellten Steuererklärungen unzutreffend als Ehegattenunterhalt nach § 22 Nr. 1a EStG besteuert worden ist
Leitsatz (redaktionell)
1. Hat die nicht fachkundig vertretene Steuerpflichtige den vom Kindsvater erhaltenen Barunterhalt für ein Kind in den mit ELSTER abgegebenen Einkommensteuererklärungen unzutreffend in der für Unterhaltsleistungen des geschiedenen oder getrenntlebenden Ehegatten gemäß § 22 Nr. 1a EStG in Verbindung mit § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG vorgesehenen Zeile eingetragen und ist der Barunterhalt für das Kind deswegen in den bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerbescheiden unrichtigerweise nach § 22 Nr. 1a EStG besteuert worden, so ist der Steuerpflichtigen ein – die Änderung der bestandskräftigen Bescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ausschließendes – „grobes Vorschulden” anzulasten, wenn sie es unterlassen hat, in den von ihr ausgefüllten elektronischen Formularen durch einfachen Mausklick auf das Fragezeichen in Zeile 6 des für die in Rede stehenden Unterhaltsleistungen vorgesehenen Eingabefeldes den auch für steuerliche Laien verständlichen Hinweis zu erhalten, dass dort nur Unterhaltsleistungen einzutragen sind, die der Steuerpflichtige von seinem „geschiedenen Ehegatten, Lebenspartner einer aufgehobenen Lebenspartnerschaft oder einem getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner erhält, sofern die Unterhaltsleistungen mit Zustimmung des Steuerpflichtigen als Sonderausgaben abgezogen werden können”, und wenn bei der gebotenen sorgfaltsgerechten Lektüre des Hinweises der Rechtsirrtum mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von vornherein vermieden worden wäre.
2. Beruhen fehlerhafte, vom Finanzamt übernommene Angaben in Steuererklärungen auf einem Rechtsirrtum des Steuerpflichtigen, scheidet eine Änderung des bestandskräftig gewordenen Bescheids nach § 129 AO aus.
Normenkette
AO §§ 129, 173 Abs. 1 Nr. 2; EStG § 22 Nr. 1a, § 10 Abs. 1a Nr. 2
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden Klägern auferlegt.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten besteht Streit darüber, ob Unterhaltsleistungen, die bei in elektronischer Form abgegebenen Einkommensteuererklärungen (ELSTER) aufgrund eines Rechtsirrtums als Einnahmen bei den sonstigen Einkünften erklärt und in bereits bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzungen für 2016 bis 2019 (Streitjahre) zu Unrecht berücksichtigt wurden, noch außer Ansatz zu lassen sind.
Die seit dem 28.05.2016 miteinander verheirateten Kläger wurden in den Streitjahren zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Beide Kläger erzielten in den Streitjahren jeweils Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit; der Kläger als Logistiker und die Klägerin als Medizinisch-technische Assistentin (MTA).
Die Klägerin ist die leibliche Mutter des am 29.03.2008 geborenen Kindes C…. Kindesvater ist D…. Für C… erhielt die Klägerin vom Kindsvater Barunterhalt aufgrund eines Unterhaltstitels des Jugendamtes E… vom 08.12.2008 (vgl. Bl. 40 Einkommensteuer-[ESt] Heftung – ESt-H –).
In den Streitjahren leistete der Kindsvater den Barunterhalt für C… auf das Konto der Klägerin. Nach Abzug anzurechnendes Kindergeldes betrug der Barunterhalt monatlich 328 EUR für 2016, 337 EUR für 2017, 362 EUR für 2019 und 370 EUR für 2019 (Bl. 42 ff. ESt-H).
In den für die Streitjahre nicht in Papierform, sondern mit den elektronischen Elster-Formularen abgegebenen gemeinsamen Einkommensteuererklärungen hatten die fachkundig nicht vertretenen Kläger jeweils in dem für „Renten und Leistungen Stpfl. B ≫ Sonstige Leistungen SB 55” zu Ziffer 147 bestimmten Eingabebereich für die Klägerin „Unterhaltsleistungen (soweit sie vom Geber als Sonderausgaben abgezogen werden können)” i. H. eines Betrages von jeweils 3.924 EUR eingetragen. Bei den Beträgen handelt es sich allerdings nicht um Unterhaltsleistungen des geschiedenen oder getrenntlebenden Ehegatten gemäß § 22 Nr. 1a i. V. m. § 10 Abs. 1a Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG), sondern um den für die Tochter der Klägerin geleisteten Barunterhalt.
Mit insoweit endgültigen nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Einkommensteuerbescheiden für 2016 vom 13.04.2017 (Bl. 11 ff. ESt-H), für 2017 vom 14.05.2018 (Bl. 14 ff. ESt-H), für 2018 vom 29.03.2019 (Bl. 17 ff. ESt-H) und für 2019 vom 01.04.2020 (Bl. 20 ff. ESt-H) folgte der Beklagte den Erklärungsangaben und setzte die vermeintlichen dem begrenzten Realsplitting unterfallenden Unterhaltsleistungen für C… unter Abzug eines Werbungskosten-Pauschbetrages (§ 9a Satz 1 Nr. 3 EStG) i.H.v.102 EUR mit jeweils 3.824 EUR steuererhöhend an. Die Einkommensteuerfestsetzungen blieben in der Folge unangefochten und erwuchsen jeweils in formelle Bestandskraft.
Im Laufe des Jahres 2021 erlangten die Kläger erstmals Kenntnis davon, dass die Unterhaltsleistungen für C… nicht dem begrenzten Realsplitting für geschiedene oder getre...