Entscheidungsstichwort (Thema)
Bauabzugsteuer: Zu sogenannten Fertigungsstraßen in Werkhallen von Automobilherstellern gehörende Roboter, Bedienpulte und Schaltschränke keine Bauwerke im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 3 EStG. Verkabelung und Kabelrinnenmontage für Roboter keine Bauleistungen im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 3 EStG. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: III R 44/22)
Leitsatz (redaktionell)
1. Der gesetzlich nicht geregelte Begriff des „Bauwerks” im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 3 EStG ist weit auszulegen und umfasst nicht nur Gebäude oder allgemein unbewegliche Wirtschaftsgüter, sondern vielmehr auch Scheinbestandteile im Sinne des § 95 BGB und Betriebsvorrichtungen im Sinne des § 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BewG sowie technische Anlagen.
2. Bestehen die – jeweils vorübergehend für einen zwei- bis dreijährigen Produktionszyklus aufgebauten und anschließend wieder vollständig abgebauten – sogenannten automatisierten Fertigungsstraßen in Werkhallen von Automobilherstellern aus zahlreichen Fertigungsrobotern, Schaltkästen, Bedienpulten und Lüftungs- und Reinigungsanlagen und programmiert ein in der Automobilindustrie tätiges Unternehmen die von anderen Unternehmen gelieferten Fertigungsroboter zur Produktion von Automobilen, so stellen nur die Werkhallen, nicht jedoch die Roboter, Schaltschränke oder Bedienungspulte in den Fertigungsstraßen Bauwerke im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 3 EStG dar.
3. Erbringt ein Subunternehmer des mit der Programmierung der Roboter beauftragten Unternehmens die weit überwiegend aus Verkabelungsarbeiten und geringfügig aus Kabelrinnenmontagen bestehenden Arbeiten zur Verlegung der für die Stromzufuhr und Steuerung der Roboter benötigten Kabel, so stellen diese Arbeiten keine Bauleistungen im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 3 EStG im Hinblick auf die einzig als Bauwerk zu qualifizierenden Werkhallen dar.
Normenkette
EStG § 48 Abs. 1 S. 3; BGB § 95; BewG § 68 Abs. 2 S. 1 Nr. 2
Tenor
Die Festsetzung des Steuerabzugs für Bauleistungen im Sinne des §§ 48 ff. EStG für die Monate Mai 2010 bis August 2014 sowie Oktober 2014 bis September 2015 und November 2015 durch Steueranmeldung vom 22. Mai 2017, beim Finanzamt eingegangen am 23. Mai 2017, und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. Oktober 2019 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin von der B… d.o.o., einer Gesellschaft slowenischen Rechts, in den Zeiträumen Mai 2010 bis August 2014, Oktober 2014 bis September 2015 und November 2015 Bauleistungen im Sinne von §§ 48 ff. des Einkommensteuergesetzes – EStG – empfangen hatte und deshalb verpflichtet war, Bauabzugsteuer in Höhe von 15 % der – der Höhe nach zwischen den Beteiligten unstreitigen – Gegenleistung einzubehalten sowie an den Beklagten abzuführen.
Die Klägerin ist in der Automobilindustrie tätig. Sie programmiert die von anderen Unternehmen in die Werkhallen von Automobilherstellern gestellten Fertigungsroboter (nachfolgend: die Roboter) zur Produktion von Automobilen. U.a. zur Verlegung der für die Stromzufuhr und Steuerung der Roboter benötigten Kabel bedient sich die Klägerin verschiedener Subunternehmen. Eines dieser Subunternehmen war im Streitzeitraum die B… d.o.o., die ihre Tätigkeiten auf der Grundlage diverser Werkverträge mit der Klägerin erbrachte und die zu keinem Zeitpunkt über eine Freistellungsbescheinigung zum Steuerabzug bei Bauleistungen gemäß § 48b EStG verfügte.
Erfüllungs- und Ausführungsorte der Leistungen der Klägerin und der Subunternehmen waren massiv erbaute Werkhallen der verschiedenen Automobilhersteller, die typischerweise etwa 6 ha Grundfläche und etwa 15 m Höhe aufwiesen, Flachdächer hatten und mit einem industriegeeigneten Estrichfußboden ausgestattet waren (nachfolgend: die Werkhallen). Die Werkhallen befanden sich verteilt auf ganz Deutschland.
Aufgrund der durchschnittlich nur zwei bis drei Jahre dauernden Automobilmodellzyklen bei den Auftraggebern der Klägerin, zu denen im Streitzeitraum etwa Daimler, Audi und Opel gehörten, wurden die Produktionsanlagen für die Automobilmodelle in den Werkhallen zyklisch vollständig auf- und wieder abgebaut. Zwischen dem Abbau der alten Produktionsanlagen für das abgelöste Automobilmodell und dem Aufbau der neuen Produktionsanlagen für das neue Automobilmodell wurden die Werkhallen in der Regel vollständig leergeräumt.
Die Produktionsanlagen in diesen Werkhallen bestanden typischerweise aus sog. automatisierten Fertigungsstraßen, bestehend aus zahlreichen Robotern, Schaltkästen, Bedien-Pulten und Lüftungs- und Reinigungsanlagen. All ...