rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufhebung von im Anschluss an die Flucht eines DDR-Bürgers ergangenen, allein dem Einzug des Vermögens des Flüchtlings zugunsten der DDR dienenden DDR-Steuerbescheiden

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein vor dem Wirksamwerden des Beitritts der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik ergangener Steuerbescheid ist i. S. d. Art. 19 S. 2 EinigVtr dann mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar und deswegen aufzuheben, wenn er sich bei einer Würdigung seines Inhalts und der seinen Erlass begleitenden Gesamtumstände nach dem nicht widerlegten äußeren Anschein als mutmaßlich politisch motivierte Willkürmaßnahme darstellt.

2. Diese Voraussetzungen für die Aufhebung von „DDR-Bescheiden” sind erfüllt, wenn nach der Flucht eines schon zuvor von der Stasi beobachteten DDR-Bürgers unter Beteiligung des Ministeriums für Staatssicherheit und der Steuerfahndung geänderte Steuerbescheide für die letzten zehn Jahre ergangen sind und nach den gesamten erkennbaren Umständen alleiniger Zweck dieser geänderten Steuerfestsetzungen der Einzug des Vermögens des ehemaligen DDR-Bürgers zugunsten der DDR infolge seiner Flucht in die BRD und nicht eine tatsächlich vorliegende Steuernachforderung gegen den Flüchtling war. Hierfür spricht es, wenn das Ministerium für Staatssicherheit unmittelbar im Anschluss an die geglückte Flucht mit operativen Maßnahmen zur Verunsicherung bzw. Zersetzung gegen den Flüchtling begonnen hat und nach dem Gesamtbild das ebenfalls zu dieser Zeit begonnene steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren Teil der Zersetzungsmaßnahmen gegen den geflohenen DDR-Bürger war.

3. Die Aufhebung der DDR-Bescheide ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung ausgeschlossen, wenn der Steuerpflichtige nach der Wiedervereinigung bei einer Akteneinsicht beim LARoV Kenntnis über die ihm bis dahin nicht bekannten Unterlagen der Steuerfahndung bzw. die Steuernachforderungsbescheide der DDR-Behörden erlangt und erst zwölf Jahre später eine Aufhebung der DDR-Bescheide beim zuständigen FA beantragt hat.

 

Normenkette

EinigVtr Art. 19 Sätze 1-3

 

Tenor

Unter Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 25. Juni 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. Juli 2013 wird der zusammengefasste Bescheid des Magistrats von Berlin vom 13. September 1982 über Steuern, SV-Beiträge und andere Haushaltsbeziehungen 1972-1980 aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

 

Tatbestand

Der Kläger betrieb seit 1964 als Schausteller einen B.- Kiosk im Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik – DDR –. Diese Tätigkeit gab er 1978 auf und veräußerte in diesem Zusammenhang das von ihm genutzte Inventar zu einem Verkaufspreis von 33.104,37 M/DDR. Seit 1. Juli 1978 war er Inhaber eines Cafes in Berlin. Er betrieb dieses Cafe zusammen mit seiner damaligen Ehefrau, Frau C.. Im Jahr 1976 erwarben die Eheleute ein Grundstück in der D.-Str. in Berlin zu einem Kaufpreis von 5.700 M/DDR. Dieses Grundstück bebauten sie mit einem Haus, dessen Bausumme sich auf 75.900 M/DDR belief. Hierfür nahmen die Eheleute am 17. Juni 1977 einen Kredit bei der Sparkasse der Stadt Berlin i.H.v. 56.900 M/DDR auf. Nach Fertigstellung bewohnte der Kläger das Haus mit seiner Ehefrau und seinen beiden Kindern.

Die Ehe des Klägers mit Frau C. wurde am 23. Januar 1981 geschieden. Im Rahmen des Ehescheidungsverfahrens wurde im Hinblick auf das genannte Grundstück die Regelung getroffen, dass das Eigentum allein auf den Kläger übergeht. Zu einer Eigentumsumschreibung im Grundbuch kam es jedoch nicht.

Am 22. Dezember 1981 floh der Kläger aus der DDR nach West-Berlin, woraufhin das Stadtbezirksgericht Berlin am 11. Januar 1982 gegen den Kläger einen Haftbefehl wegen des Verdachts des ungesetzlichen Grenzübertritts erließ. In der Folge ordnete das Stadtbezirksgericht Berlin am 15. Januar 1982 die Durchsuchung der Wohnung des Klägers und die Beschlagnahme der bei dieser Durchsuchung aufgefundenen Gegenstände an. Mit Bestallungsurkunden vom 19. Februar 1982 sowie vom 23. Februar 1982 stellten die DDR-Behörden sodann gem. § 1 der Anordnung Nr. 2 vom 20. August 1958 über die Behandlung des Vermögens der Personen, die die DDR nach dem 10. Juni 1953 verlassen, das Vermögen des Klägers unter staatliche Verwaltung. In diese staatliche Zwangsverwaltung war auch der dem Kläger zugerechnete Miteigentumsanteil an dem Grundstück in der D.-Str. einbezogen. Insoweit ging die mit der Verwaltung des Vermögens beauftragte VEB Kommunale Wohnungsverwaltung Berlin davon aus, dass Frau C. entgegen den Feststellungen im Scheidungsverfahren weiterhin hälftige Miteigentümerin sei. Frau C. beantragte in der Folge, den Miteigentumsanteil des Klägers zu erwerben. Hieraufhin schlossen die VEB Kommu...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Steuer Office Excellence enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge