Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch des in Deutschland wohnenden Kindesvaters für in Polen bei der Mutter lebendes minderjähriges Kind bei Nichtbestehen eines Anspruchs auf polnische Familienleistungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Dem in Deutschland lebenden und Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch beziehenden Vater mit deutscher Staatangehörigkeit steht für sein in Polen bei der Kindsmutter lebendes, minderjähriges Kind Kindergeld zu, wenn die in Polen wohnhafte, nicht erwerbstätige und auch keine Rente oder Versorgungsbezüge beziehende Kindesmutter keinen Anspruch auf polnisches Kindergeld hat und ausweislich einer Bestätigung der polnischen Sozialhilfebehörde tatsächlich auch keine polnischen Familienleistungen erhält. Der Kindergeldanspruch des Vaters wird nicht nach § 64 Abs. 2 S. 1 EStG ausgeschlossen, wenn die in Polen lebende Kindesmutter im Inland nicht kindergeldberechtigt ist.
2. Besteht nur in einem Mitgliedstaat Anspruch auf Familienleistungen (im Streitfall: Kindergeldanspruch des Kindesvaters in Deutschland; kein Anspruch auf Familienleistungen der Kindesmutter in Polen), so ist der Anwendungsbereich der VO (EG) Nr. 883/2004 und der VO (EG) Nr. 987/2009 nicht eröffnet.
Normenkette
EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 1 Abs. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Sätze 2-3, § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3, § 64 Abs. 2 S. 1; EGV 883/2004 Art. 67-68; EGV 987/2009
Nachgehend
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung der Ablehnungsbescheide vom 22.1.2013 und 17.4.2013 sowie der Einspruchsentscheidung vom 19.4.2013 verpflichtet, dem Kläger für sein Kind B… Kindergeld ab November 2012 in voller Höhe zu gewähren.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Berlin. Er bezieht seit dem 1.11.2012 Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch in Höhe von derzeit 713,80 EUR; hiervon entfallen 382 EUR auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts. Für seine am 21.8.2010 geborene Tochter B. A., welche zusammen mit ihrer Mutter C. in Polen wohnt, beantragte der Kläger am 8.11.2012 Kindergeld. Nach einer Bestätigung der polnischen Sozialhilfebehörde erhielt die Mutter in der Zeit vom 21.8.2010 – 15.10.2012 keine Familienleistungen für das Kind. Nach den Angaben des Klägers ist die Mutter nicht erwerbstätig und bezieht keine Rente oder Versorgungsbezüge. Weder mit der Mutter noch seiner Tochter unterhält der Kläger einen gemeinsamen Wohnsitz.
Mit Bescheid vom 22.1.2013 – wegen eines Schreibfehlers korrigiert am 17.4.2013 – lehnte die Familienkasse den Kindergeldantrag ab. Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb ohne Begründung. Mit Einspruchsentscheidung vom 19.4.2013 änderte der Beklagte den Ablehnungsbescheid dahingehend, „dass deutsches Kindergeld nicht festgesetzt werden kann, da der Kindesmutter ausländische Familienleistungen in Polen zustehen” und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Zur Begründung stützte sie sich auf Art. 67 und 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 [nachfolgend VO] sowie der hierzu ergangene Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009 [nachfolgend DVO]. Sowohl der Kläger als auch die Kindesmutter hätten in ihren Wohnsitzstaaten konkurrierende Kindergeldansprüche. Der Anspruch auf Familienleistungen bestünde nach Art. 67, 68 Abs. 1 Buchst. a), iii, Abs. 2 S. 3 VO jedoch nur im Wohnsitzstaat der Mutter und des Kindes, also in Polen.
Zur Klagebegründung verwies der Kläger auf die beigefügte Einspruchsentscheidung und führte aus, diese sei rechtswidrig und verstoße gegen EU-Recht. Kindergeld werde nicht in Polen gewährt.
Durch eine am 18.07.2013 zugestellte Anordnung gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung – FGO – ist der Prozessvertreter aufgefordert worden, bis zum 13.09.2013 den Streitgegenstand im Sinne von § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO zu bezeichnen. Zugleich ist darauf hingewiesen worden, dass bei Versäumen dieser Ausschlussfrist die Klage allein aus diesem Grunde als unzulässig abgewiesen werden müsse, falls nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei. Innerhalb der Frist erfolgte keine Reaktion des Klägers, so dass die Klage mit Gerichtsbescheid vom 19.9.2013 abgewiesen worden ist. Daraufhin hat der Kläger mündliche Verhandlung beantragt. Ergänzend macht der Kläger zur Begründung seiner Klage geltend, Art. 68 VO stehe der Kindergeldgewährung nicht entgegen. Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs der Konkurrenzvorschriften auf Arbeitnehmer und Selbständige gebe es seit dem 1.5.2010 nicht mehr.
Der Kläger beantragt,
ihm unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 22.1.2...