rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung des § 70 Abs. 4 EStG bei einer Prognoseentscheidung - hier: wegen nicht berücksichtigter Sozialversicherungsbeiträge
Leitsatz (redaktionell)
§ 70 Abs. 4 EStG ist nicht schon bei Vorliegen eines bloßen Rechtsfehlers zulässig, sondern setzt als maßgeblichen Änderungsgrund einen nachträglich verwirklichten und bekannt gewordenen Sachverhalt voraus, der zugleich den Anwendungsbereich -entsprechend dem Gesetzeszweck- auf die Korrektur von Prognoseentscheidungen (Überschreiten oder Unterschreiten des Grenzbetrags zum Ende des Kalenderjahres entgegen der Prognose) beschränkt.
Normenkette
EStG § 70 Abs. 4
Tatbestand
Die im Jahr 1985 geborene Tochter der Klägerin begann im August 2003 eine dreijährige Berufsausbildung. Aus einer am 12. Dezember 2003 bei der Beklagten eingegangenen Ausbildungsbescheinigung ergaben sich voraussichtliche Einkünfte der Tochter für das Jahr 2005 in Höhe von 7 960,00 €. Daraufhin lehnte die Beklagte in dem Bescheid vom 19. Dezember 2003 eine Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum Januar bis Dezember 2005 mit der Begründung ab, dass im Jahr 2005 der maßgebliche Jahresgrenzbetrag voraussichtlich überschritten werde.
Am 30. Juni 2005 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Zahlung des Kindergeldes für ihre Tochter ab dem 1. Januar 2005, da die Einkünfte der Tochter bei Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge den maßgeblichen Grenzbetrag unterschreiten würden. Die Beklagte wertete den Antrag als Einspruch gegen die Ablehnungsbescheid vom 19. Dezember 2003 und verwarf diesen durch Einspruchsentscheidung vom 5. Juli 2005 wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig. Am 28. Juli 2005 stellte die Klägerin erneut einen Antrag auf Kindergeld für das Jahr 2005. Auf der Grundlage einer zugleich von der Klägerin eingereichten neuen Ausbildungsbescheinigung errechnete die Beklagte Einkünfte der Tochter für das Jahr 2005 in Höhe von 8 131,00 €, wobei sie die Pflichtbeiträge der Tochter zur gesetzlichen Sozialversicherung in Höhe von 1 704,00 € unberücksichtigt ließ. Mit Bescheid vom 22. August 2005 lehnte die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum Januar bis Dezember 2005 ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die begehrte Kindergeldfestsetzung wegen Überschreitens des maßgeblichen Jahresgrenzbetrages bereits durch Bescheid vom 19. Dezember 2003 bestandskräftig abgelehnt worden sei und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG- vom 11. Januar 2005 -2 BvR 167/02-, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -HFR- 2005, 692, derzufolge die Pflichtbeiträge eines Kindes zur gesetzlichen Sozialversicherung bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge des Kindes abzuziehen seien, nur auf nicht bestandskräftig entschiedene Fälle bzw. auf ungeregelte Zeiträume anzuwenden sei.
Der hiergegen gerichtete Einspruch vom 26. August 2005 blieb erfolglos und wurde durch Einspruchsentscheidung vom 15. September 2005 als unbegründet zurückgewiesen.
In ihrer am 26. September 2005 erhobenen Klage trägt die Klägerin im Wesentlichen vor: Die Beklagte habe bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge die Pflichtbeiträge der Tochter zur gesetzlichen Sozialversicherung im Jahr 2005 in Höhe von 1 704,00 € zu Unrecht außer Ansatz gelassen. Ziehe man diese entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in dessen Entscheidung vom 11. Januar 2005, a. a. O., ab, würden die Einkünfte und Bezüge der Tochter den maßgeblichen Jahresgrenzbetrag nachhaltig unterschreiten. Die Berufung der Beklagten auf die Bestandskraft des Ablehnungsbescheides vom 19. Dezember 2003 gehe ins Leere, da sich die Bindungswirkung eines bestandskräftigen Ablehnungsbescheides nur auf die Zeit bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe beschränke. Auf einen danach erneut gestellten Antrag könne demzufolge das Kindergeld auch rückwirkend ab dem auf die Bekanntgabe des Ablehnungsbescheides folgenden Monats bewilligt werden. Anderenfalls läge eine unangemessene Benachteiligung derjenigen Kindergeldberechtigten vor, die nur einen Anspruch auf Kindergeld hätten, gegenüber solchen Eltern, denen alternativ ein Kinderfreibetrag zustehe. Letztere könnten unabhängig von der Bestandskraft eines Kindergeldablehnungsbescheides stets noch rückwirkend die Gewährung eines Kinderfreibetrages verlangen.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, zugunsten der Klägerin unter Aufhebung des Bescheids vom 22. August 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. September 2005 Kindergeld für die Tochter xxx im Zeitraum Januar 2005 bis Dezember 2005 festzusetzen.
In der mündlichen Verhandlung ist für die Beklagte niemand erschienen.
Die Beklagte hat schriftsätzlich ausgeführt, dass der begehrten Kindergeldfestsetzung die Bestandskraft des Ablehnungsbescheides vom 19. Dezember 2003 entgegenstehe. Eine Berücksichtigung der Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung sei bei Vorliegen eines bestandskräftigen Ablehnungsbescheides nur möglich, wenn zusätzlich andere neue...