rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerhinterziehung durch Verschweigen des Wegzugs in das Ausland und unberechtigten Weiterbezug von Kindergeld
Leitsatz (redaktionell)
1. Wer pflichtwidrig die Familienkasse nicht über seinen Wegzug in das Ausland informiert und deshalb unberechtigt weiterhin Kindergeld bezieht, erfüllt den objektiven Tatbestand einer Steuerhinterziehung.
2. Der Hinterziehungsvorsatz setzt keine sichere Kenntnis des Steueranspruchs voraus. Für bedingten Vorsatz reicht es aus, dass der Täter anhand einer laienhaften Bewertung der Umstände erkennt, dass ein Steueranspruch existiert, auf den er einwirkt (sog. „Parallelwertung in der Laiensphäre”).
3. Es kann davon ausgegangen werden, dass dem Bürger im Allgemeinen bekannt ist, dass eine Anzeigepflicht gegenüber der Behörde besteht, wenn die Voraussetzungen für eine gewährte Steuervergünstigung nachträglich weggefallen sind.
Normenkette
AO § 370 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 S. 2, § 235 Abs. 1 S. 1, § 239 Abs. 1 S. 1; EStG § 31 S. 3, § 68 Abs. 1 S. 1; StGB § 15
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen.
Die Klägerin, ihr Ehemann und die zwei Kinder haben die … Staatsangehörigkeit.
Die Familie war nach dem Zuzug der Familie aus … seit dem …2016 in … gemeldet.
Auf Antrag der Klägerin wurde mit Bescheid vom …2016 zu Ihren Gunsten Kindergeld für die beiden Kinder in gesetzlicher Höhe festgesetzt und auf ihre Veranlassung in der Folge auf ein Konto des Ehemannes ausgezahlt.
Nachdem die Klägerin und ihre Familie von Amts wegen als unbekannt verzogen abgemeldet worden waren, meldete sie sich mit den Kindern zum …2019 unter einer neuen Adresse in … wieder an.
Auf Nachfrage der Beklagten nach Nachweisen über einen Wohnsitz in Deutschland im Zeitraum März 2018 bis Februar 2019 teilte die Klägerin mit, sie könne dazu nichts einreichen, weil die Familie in diesem Zeitraum in … gewesen sei.
Nachdem das …Amt der Beklagten mitgeteilt hatte, dass die Familie der Klägerin aus der früheren Wohnanschrift zum …2018 ausgezogen war, hob die Beklagte nach vorheriger Anhörung die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum von Februar 2018 bis Februar 2019 mit Bescheid vom … auf und forderte die Klägerin auf, das für diesen Zeitraum gezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt … Euro zu erstatten. Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom … ist bestandskräftig geworden.
Mit Bescheid vom … setzte die Beklagte gegenüber der Klägerin Hinterziehungszinsen in Höhe von … Euro fest. Die Festsetzung der Zinsen wurde gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO i.V.m. § 239 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung (AO) hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Zinssatzes von 0,5 Prozent pro Monat (§ 238 Abs. 1 Satz 1 AO) für vorläufig erklärt. Zur Begründung der Festsetzung wurde ausgeführt, das zu Unrecht gezahlte Kindergeld sei zu verzinsen, weil es sich rechtlich gesehen um Steuerhinterziehung handele.
Gegen den Bescheid vom … legte der damalige Verfahrensbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom … Einspruch ein. Zur Begründung trug er vor, es liege keine Steuerhinterziehung vor.
Mit Einspruchsentscheidung vom … wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung wies die Beklagte auf den bestandskräftigen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom … hin. Bei dem für den Zeitraum von Februar 2018 bis einschließlich Februar 2019 ungerechtfertigt erlangten Kindergeld handele es sich rechtlich gesehen um einen hinterzogenen Steuerbetrag. Die Festsetzung von Hinterziehungszinsen setze dabei keine strafrechtliche Verurteilung wegen Steuerhinterziehung voraus. Hinterziehungszinsen seien demnach auch festzusetzen, wenn wirksam Selbstanzeige nach § 371 AO erstattet worden sei. Ein hinterzogener Steuerbetrag sei nach § 235 Abs. 1 Satz 1 AO zu verzinsen, um dem Nutznießer den steuerlichen Vorteil der verspäteten Zahlung bzw. Gewährung oder Belassung von Steuervorteilen zu nehmen. Es bestehe kein Ermessensspielraum. Zinsschuldner sei derjenige, zu dessen Vorteil das Kindergeld hinterzogen wurde, vorliegend die Berechtigte. Bezüglich der Höhe der festgesetzten Hinterziehungszinsen sei die Festsetzung vorläufig hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Zinssatzes.
Mit Schreiben vom … hat der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin Klage gegen den Bescheid vom … in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass Hinterziehungszinsen schon dem Grunde nach nicht festgesetzt werden dürften, weil keine Steuerhinterziehung vorliege und zwar weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht. Hinzu komme, dass hinsichtlich der Höhe der Zinsen derzeit beim Bundesverfassungsgericht ein Verfahren anhängig sei. Er beantrage deshalb, das hiesige Verfahren ruhend zu stellen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Bescheid vom … über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen in der Gestalt der Einspruchs...