rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Beendigung der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren in einem Verfahren der Steueraussetzung. Exkulpation bei Beteiligung an der Steuerhinterziehung eines Dritten. Ermessenserwägungen bei Inanspruchnahme von Gesamtschuldnern
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren in einem Verfahren der Steueraussetzung endet, wenn der Empfänger die Waren in sein Steuerlager körperlich aufgenommen hat.
2. Treten während einer Beförderung von Erzeugnissen im Steuergebiet Unregelmäßigkeiten ein, werden die Erzeugnisse insoweit dem Verfahren der Steueraussetzung entnommen.
3. Der Exkulpationsnachweis nach § 169 Abs. 2 Satz 3 AO ist auf den Fall beschränkt, dass der Steuerpflichtige oder sein Erfüllungsgehilfe nicht an der Steuerhinterziehung beteiligt waren. Der Steuerschuldner muss u. a. nachweisen, dass er durch die Tat keinen Vermögensvorteil erlangt hat und dass die Tat nicht kausal für den Vermögensvorteil ist.
4. Besteht ein erhöhtes Risiko, dass ein Dritter eine Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerhinterziehung begeht, sind auch erhöhte Anforderungen an die von dem Steuerschuldner zu erwartenden Vorkehrungen zur Verhinderung einer solchen Tat zu stellen.
5. Die Inanspruchnahme eines oder mehrerer Gesamtschuldner (§ 44 AO) steht im Auswahlermessen der Behörde, das in den Grenzen des § 102 Satz 1 FGO vom Gericht überprüft wird. Die maßgeblichen Gründe der Ermessensausübung, insbesondere die angestellten Zweckmäßigkeitserwägungen, sind spätestens in der Einspruchsentscheidung darzulegen. Regelmäßig sind die für die Inanspruchnahme in Betracht kommenden Gesamtschuldner zu benennen und die für oder gegen ihre jeweilige Inanspruchnahme sprechenden Umstände darzulegen.
6. Eine Begründung des Auswahlermessens ist insbesondere erforderlich, wenn allein der von der Behörde selbst als gutgläubig eingeschätzte Steuerlagerinhaber, der ohne sein Wissen für die Begehung der Steuerstraftaten benutzt worden ist, anstelle des Haupttäters in Anspruch genommen wird.
Normenkette
BranntwMonG §§ 138, 142-143; AO § 169 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 2 Sätze 2-3, § 170 Abs. 1, §§ 44, 121 Abs. 1; FGO § 102
Tenor
Der Steuerbescheid vom … 2011 und das Leistungsgebot vom … 2013, beide in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … 2015, werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerinnen vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Festsetzung von Branntweinsteuer.
Die Klägerin, eine GmbH, führt den Handel mit Spirituosen durch. Sie verfügt über eine Erlaubnis als Steuerlagerinhaber für Branntwein sowie branntweinhaltige Waren (Erzeugnisse).
Vor den dieses Verfahren betreffenden Beförderungen veräußerte die Klägerin an Herrn … (S.) Spirituosen zur Lieferung an ein Steuerlager in den Niederlanden. Die dazugehörigen begleitenden Verwaltungsdokumente (bVD) vom … 2009 wurden nicht zurückgesandt, da der niederländische Zoll sie sichergestellt hatte. Seitens der niederländischen Behörden wurden Alternativnachweise ausgestellt, die der Klägerin zugesandt wurden.
Die Klägerin verkaufte im Zeitraum … 2009 bis … 2010 in 18 Fällen Erzeugnisse an die Firma … (Firma T.). Geschäftsführer dieses Unternehmens war S. Dieser gab an, dass die Erzeugnisse unter Steueraussetzung zu von ihm benannten Empfängern nach Rumänien transportiert werden sollten, und ließ die Waren durch Lastkraftwagen (Lkw) des britischen Unternehmens … abholen.
Es handelte sich um folgende Lieferungen:
…
Für die Lieferung Nr. 1 war die … als Empfängerin angegeben. Für die Lieferungen Nr. 2 bis Nr. 10 war die … als Empfängerin angegeben. Für die Lieferungen Nr. 11 bis Nr. 18 war die … als Empfängerin angegeben. Die Klägerin überführte die Erzeugnisse jeweils in das Steueraussetzungsverfahren mit bVD und händigte den Fahrern der Lkw jeweils eine Ausfertigung aus. Innerhalb von wenigen Tagen erhielt die Klägerin jeweils Ausfertigungen des bVD, auf denen Bestätigungen der rumänischen Empfänger und der rumänischen Zollverwaltung angebracht waren.
Mit Schreiben vom … 2010 wurden von der Klägerin auf Bitten des S. Kopien von Frachtbriefen (CMR) an die Firma …geschickt. Diese Firma wendete sich daraufhin an die rumänischen Zollbehörden und gab an, die Klägerin nicht zu kennen und keine geschäftlichen Kontakte zu ihr zu unterhalten. Die auf den CMR angebrachten Firmenstempel identifizierte sie als falsch. Die deutsche Zollverwaltung nahm eine Betriebsprüfung der betreffenden Geschäfte vor, die zu keinen Beanstandungen führte.
Die Klägerin stellte am … 2010 fest, dass unversteuerte Spirituosen, die bei ihr am ...