rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorrangige Kindergeldanspruchsberechtigung der im EU-Ausland wohnenden Großmutter bei Erwerbstätigkeit sowie Wohnsitz der polnischen Mutter in Deutschland und Haushaltsaufnahme des Kindes bei der Großmutter im EU-Ausland
Leitsatz (redaktionell)
1. Ist eine polnische Staatsangehörige in Deutschland ansässig und erwerbstätig, lebt ihr minderjähriger Sohn im Haushalt der Großmutter in Polen und erfüllen weder der (inhaftierte) Kindesvater noch die Großmutter die tatsächlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Familienleistungen nach polnischem Recht, so ist nach der ab 1.5.2010 maßgeblichen Rechtslage Deutschland gemäß Art. 67 S. 1 und Art. 11 VO (EG) Nr. 883/2004 zur Leistung von Kindergeld für das Kind verpflichtet.
2. Aus der in Art. 60 Abs. 1 S. 2 VO (EG) 987/2009 angeordneten sog. Familienbetrachtung folgt, dass für den Kindergeldanspruch alle Beteiligten (Kindesmutter, Kindesvater, Großmutter, Kind) so zu behandeln sind, als ob sie in Deutschland wohnen würden. Aufgrund der Haushaltsaufnahme des Kindes bei der Großmutter ist diese gegenüber der Kindesmutter nach § 64 Abs. 2 S. 1 EStG vorrangig kindergeldanspruchsberechtigt (gegen FG Rheinland-Pfalz v. 23.3.2011, 2 K 2248/10).
3. Die Anwendung des BKKG in Fällen der vorliegenden Art auf die in Polen lebende Person scheidet aus, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1-4 BKKG mangels Vorliegens des in dieser Vorschrift geregelten besonderen Bezugs zur deutschen Sozialrechtsordnung nicht erfüllt sind.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 1, 3, § 62 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 63 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1, 3, S. 3, § 64 Abs. 2 S. 1; EGV 883/2004 Art. 1 Buchst. z, Art. 11 Abs. 1, 3, Art. 67 S. 1; DVO (EG) 987/2009 Art. 60 Abs. 1 S. 2; BKGG § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte die Festsetzung von Kindergeld gegenüber der in Deutschland wohnhaften und erwerbstätigen Klägerin für ihren minderjährigen Sohn … (nachfolgend abgekürzt: L.) mit der Begründung ablehnen durfte, dass der in Polen wohnhaften Großmutter, die L. in ihrem Haus in Polen betreut und versorgt, ein vorrangiger Kindergeldanspruch zustehe.
Die Klägerin ist polnische Staatsangehörige. Sie war zunächst in R.-P. als Haushaltshilfe nichtselbständig tätig. Im Zeitraum 1. Januar bis 31. Juli 2009 erhielt sie einen Bruttoarbeitslohn i.H.v. 8.610,– EUR. Seit Mitte des Jahres 2009 wohnt sie in … zusammen mit Herrn … (nachfolgend abgekürzt: P.) in einer Zweizimmerwohnung in B. In B. war sie ab 17. September 2009 geringfügig bei einem Reinigungsunternehmen beschäftigt und erhielt bis einschließlich Dezember 2009 einen Bruttoarbeitslohn i.H.v. insgesamt 1.074,– EUR. Seit dem 22. März 2010 übt die Klägerin eine nichtselbständige Tätigkeit bei der …-GmbH aus. Bis einschließlich Dezember 2010 betrug ihr Bruttoarbeitslohn insgesamt 10.962,97 EUR. In der Zeit von Januar bis September 2011 verdiente sie rund 898,– EUR netto monatlich.
Die Klägerin ist die leibliche Mutter des am … 1994 geborenen Sohnes L. und der am … 1993 geborenen Tochter … (nachfolgend abgekürzt: N.). Das Klageverfahren wegen Kindergeld für das Kind N. wurde durch Beschluss des Gerichts vom 14. Oktober 2011 abgetrennt und zum Ruhen gebracht bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Verfahrens wegen Kindergeld für das Kind L.
Der Vater von L. und N. ist der am 22. August 1970 geborene … (nachfolgend abgekürzt: R.). Zurzeit sitzt er im Gefängnis und verbüßt bis etwa März 2012 eine dreijährige Haftstrafe. Davor wohnte er in einer Wohnung im Haus seiner Mutter … – der Großmutter von L. und N. (nachfolgend abgekürzt: Großmutter) – unter der Adresse … in Polen. Die Kinder L. und N. wohnen in der zuvor von ihrem Vater bewohnten Wohnung im Haus der Großmutter. Sie werden von der Großmutter betreut und versorgt, die hierfür von der Klägerin 300,– EUR pro Monat für beide Kinder bekommt. Zwischen den Beteiligten ist im Klageverfahren unstreitig geworden, dass L. im Haushalt der Großmutter aufgenommen ist.
R. bezieht weder für L. noch für N. in Polen Kindergeld.
L. wird seit September 2009 in Polen zum Schlachter ausgebildet. Er geht drei Tage pro Woche zur Berufsschule und macht zwei Tage pro Woche ein Praktikum bei einem Schlachter. Seine Einkünfte belaufen sich auf 100,– PLN pro Monat.
Die Klägerin erhielt für die Monate Juli 2008 bis Juli 2009 nach den deutschen Rechtsvorschriften volles Kindergeld und für die Monate August bis November 2010 hälftiges Kindergeld für L. Mit Bescheid vom 25. November 2010 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung ab dem Monat Dezember 2010 gemäß § 70 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf. Der Aufhebungsbescheid wurde bestandskräftig, nachdem der dagegen von der Klägerin am 9. Dezember 2010 eingelegte Einspruc...