rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Konkludente Bekanntgabe eines Kindergeldbescheids; Bestimmtheit eines Änderungsbescheids; Wohnsitz bei Schulbesuch des Kindes in der Türkei. Familienlastenausgleich
Leitsatz (amtlich)
1. Eine in den Akten der Familienkasse enthaltene, dem Antrag des Kindergeldberechtigten entsprechende Kindergeldfestsetzung kann dem Berechtigten auch formlos dadurch bekanntgegeben werden, dass dem Berechtigten eine an ihn adressierte Kindergeldbescheinigung zur Vorlage beim Arbeitgeber zugeschickt wird.
2. Sind in der Vergangenheit mehrere, teilweise nicht förmlich, sondern nur schlüssig bekanntgegebene Kindergeldänderungsbescheide ergangen, ist ein erneuter Änderungsbescheid mangels inhaltlicher Bestimmtheit unwirksam, wenn er nicht klar festlegt, welche wann ergangenen Änderungsbescheide für welche Zeiträume nunmehr geändert werden sollen.
3. Ein Kind, das in der Türkei acht Jahre lang bei den Großeltern lebt und dort die gesamte Grund- und Hauptschule besucht, hat keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, wenn es sich hier nur kurzfristig während der Ferien oder zu Erholungszwecken in der Wohnung der Eltern aufhält.
Normenkette
EStG 1996 § 70 Abs. 1 S. 2 Nr. 1; AO 1977 § 155 Abs. 6, § 122 Abs. 1 S. 1, § 124 Abs. 1; EStG 1996 § 73 Abs. 1 S. 2; AO 1977 § 119 Abs. 1, § 125; EStG § 63 Abs. 1 S. 3; AO 1977 §§ 8-9
Beteiligte
Präsident des Landesarbeitsamtes Niedersachsen-Bremen |
Familienkasse beim Arbeitsamt Bremen |
Tenor
Der Bescheid über die Änderung der Kindergeldfestsetzung vom 29. April 1999 wird unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 24. Juni 1999 aufgehoben, soweit die Änderung die Zeit nach August 1996 betrifft.
Der verbundene Erstattungsbescheid wird unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung insoweit aufgehoben, als Erstattungsbeträge für die Zeit nach August 1996 festgesetzt worden sind.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen zu 18 vH der Kläger und zu 82 vH der Beklagte.
Die mit der Einspruchsentscheidung verbundene Kostenentscheidung wird aufgehoben.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte im angefochtenen Bescheid die Kindergeldfestsetzung für den im Januar 1985 geborenen Sohn des Klägers, der – wie seine in der Bundesrepublik lebenden Eltern und seine im Februar 1974 bzw. im März 1975 geborenen Schwestern – die türkische Staatsangehörigkeit hat und der seit September 1991 bei seiner Großmutter in der Türkei wohnt und dort bis Dezember 1999 die Schule besucht hat, zu Recht aufgehoben hat und ob er zu Recht einen Erstattungsbetrag in Höhe der Differenz zwischen dem jeweiligen gesetzlichen Kindergeld und dem Kindergeld nach dem deutsch-türkischen Abkommen festgesetzt hat.
Der Kläger und seine Ehefrau lebten bereits 1976 in der Bundesrepublik Deutschland. Aus der 1966 geschlossenen Ehe sind die erwähnten drei Kinder hervorgegangen.
Der Sohn S. besucht seit Oktober 1991 die Schule in der Türkei. Er wohnte während der Unterrichtszeiten bei seiner Großmutter mütterlicherseits und während der Ferienzeiten – mit Ausnahme des Jahres 1997 – in der elterlichen Wohnung in Bremen. Die im Streitzeitraum bewohnte Wohnung hat eine Fläche von 42,80 qm. Im Hinblick auf die bevorstehende Rückkehr des Sohnes haben der Kläger und seine Ehefrau zum 1. Oktober 1999 eine 85,98 qm große Vierzimmer-Wohnung angemietet. Während der Ferienaufenthalte im Streitzeitraum schlief S. in einem der beiden Einzelbetten im elterlichen Schlafzimmer, während der Kläger im Wohnzimmer schlief. Die beiden älteren Schwestern lebten seit 1995 in der Türkei (KGA II 239).
S. ist – nachdem er in der Türkei in die 9. Klasse versetzt worden war und diese Klasse seit Oktober 1999 besucht hatte – im Dezember 1999 in die Bundesrepublik zurückgekehrt, um hier seine schulische Ausbildung fortzusetzen.
Der Kläger hatte am 6. Dezember 1993 gegenüber dem Beklagten erklärt (KGA I 192):
„Meine Frau hat mit… jetzt in der Türkei Urlaub bei meiner Schwiegermutter gemacht. Diese ist jetzt schwer erkrankt und pflegebedürftig. Bis zu ihrer Genesung wird meine Frau mit S… zunächst in der Türkei bleiben, höchstens jedoch für ½ Jahr (= Jan./Febr. 94).
Die Rückkehr aus dem Urlaub war zum 9/93 geplant gewesen.
Polizeiliche Abmeldung erfolgt nicht, die Rückkehr auf jeden Fall beabsichtigt.”
Im Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs auf Kindergeld, den der Kläger am 13. April 1995 beim Beklagten einreichte (KGA II 239), war für beide Töchter in der Spalte Wohnland „Türkei” eingetragen. Für S. ist die Spalte nicht ausgefüllt worden.
Am 14. Dezember 1995 erließ der Beklagte – bezogen auf S. – eine Nachzahlungsverfügung für den Zeitraum September bis Dezember 1995 (KGA II 243) und eine „KG-Verfügung/Kassenanordnung” (KGA II 244), über Kindergeld für S. ab Januar 1996 mit der Wohnlandangabe „00” und übersandte dem Kläger gleichzeitig eine „Kindergeldbescheinigung zur Vorlage beim Arbeitgeber” f...