Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldberechtigter bei getrennt unter Beibehaltung des bisherigen gemeinsamen Wohnsitzes lebenden Eltern. Objektive Beweislast über das tatsächliche Vorliegen von zur Aufhebung eines Kindergeldbescheids führenden Tatsachen i. S. d. § 70 Abs. 2 EStG. Familienleistungsausgleich
Leitsatz (amtlich)
1. Wohnen getrennt lebende Eltern mit ihrem Kind in der bisherigen Familienwohnung, kann weiterhin eine gemeinsame Haushaltsführung zwischen dem Kind und dem bisher kindergeldberechtigten und den Familienwohnsitz später verlassenden Elternteil vorliegen.
2. Hebt die Familienkasse die Festsetzung des Kindergeldes gegenüber der Mutter wegen der vom Vater des Kindes behaupteten Beendigung des örtlichen Zusammenlebens der Mutter mit dem Kind aufgrund deren Auszugs aus dem bisher gemeinsam bewohnten Einfamilienhaus auf, obliegt der Behörde die objektive Beweislast, ob die für die Änderung des begünstigenden Bescheids erforderlichen tatsächlichen Voraussetzungen vorliegen. Der Nachteil der Ungewissheit ist der Behörde aufzuerlegen.
Normenkette
EStG § 64 Abs. 2 S. 1, Abs. 1, 2 S. 2, § 70 Abs. 2, § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 32 Abs. 3
Tenor
Der Bescheid vom 26. September 1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Januar 1998 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin ist Mutter ihrer im August 1979 geborenen Tochter A., die im streitbefangenen Zeitraum (Februar 1996 bis August 1997) minderjährig war. Die Klägerin lebte zumindest bis Januar 1996 mit ihrer Tochter und ihrem Ehemann, dem Beigeladenen, zusammen in einem Haushalt.
Am 18. August 1997 zeigte der Beigeladene bei der Familienkasse an, dass die Klägerin und er seit Januar 1996 dauernd getrennt lebten, die Klägerin sei aus dem gemeinsamen Haushalt ausgezogen.
Daraufhin erließ der Beklagte den angefochtenen Aufhebungs- und Änderungsbescheid, mit dem er die Festsetzung des Kindergeldes gemäß § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz – EStG – aufhob und das für die Tochter der Klägerin gezahlte Kindergeld für die Zeit von Februar 1996 bis August 1997 in Höhe von insgesamt DM 3.960 von der Klägerin zurückforderte. Der hiergegen erhobene Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg.
Die Klägerin hat fristgerecht Klage erhoben. Sie trägt vor, dass sie über den Monat Januar 1996 hinaus in der gemeinsamen Wohnung gelebt habe. Sie habe lediglich in der Wohnung von ihrem Mann getrennt gelebt. Gleichwohl habe sie aber die Tochter A. mitversorgt, d. h. die erforderlichen Lebensmittel wurden sowohl von ihr, der Klägerin, als auch ihrem Ehemann zur Verfügung gestellt.
Die Klägerin reichte einen Schriftsatz des damaligen Prozessbevollmächtigten des Beigeladenen vom 12. September 1997 in dem Rechtsstreit vor dem Amtsgericht L. – Familiengericht – zu Az. 16 F 44/97 (Unterhaltsstreit) zu den Akten. Hierin lässt der Beigeladene vorgetragen, seine Ehefrau, die Klägerin, habe in der Zeit von Januar bis Juni 1996 die eheliche Wohnung verlassen. Nach ihrer Rückkehr habe man weder getrennt gelebt noch gewirtschaftet. Auf den Inhalt des Schriftsatzes wird Bezug genommen. Die Akte des Amtsgerichts L. wurde beigezogen.
In der mündlichen Verhandlung vom 09. Februar 2000 wurde der Ehemann der Klägerin, der erst im Verlauf des weiteren Verfahrens beigeladen wurde, als Zeuge gehört. Er gab zu Protokoll, dass die gemeinsame Tochter A. von ihm betreut und versorgt worden sei. Seine Ehefrau, die Klägerin, habe sich allenfalls sporadisch in der Ehewohnung aufgehalten. Auf seine Aussage wird im weiteren Bezug genommen.
Die Tochter A. äußerte sich in ihrem Schreiben vom 06. Juni 2001 wie folgt:
Meine Eltern leben seit Januar 1996 offiziell in getrennten Haushalten. Ich lebte in der fraglichen Zeit 1/96 – 8/97 und darüber hinaus im Haushalt meines Vaters, Hartmut Eigenmann, wurde hier versorgt und betreut (Verköstigung, Kleidung, Wohnen, Taschengeld, Freizeit und anderes mehr. …
Die Tochter A. wurde in der mündlichen Verhandlung vom 05. Dezember 2001 als Zeugin gehört. Auf ihre Aussage wird Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 26. September 1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Januar 1998 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Beklagte hat die Gewährung von Kindergeld für das Kind A. für die Monate Februar 1996 bis August 1997 zu Unrecht aufgehoben.
Die Kindergeldberechtigung der Klägerin und des Beigeladenen ergibt sich aus §§ 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 i.V.m. § 32 Abs. 3 EStG. Gem. § 64 Abs. 1 EStG wird für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt, bei mehreren Berechtigten wird gem. § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG das Kindergeld demjenigen gezahlt, ...