rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung durch den faktischen GmbH-Geschäftsführer. Überprüfung der Ermessensausübung des Finanzamts bei Sachverhaltsänderung im AdV-Verfahren gegen Haftungsbescheid

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Als faktischer Geschäftsführer einer GmbH, der zur Haftung nach §§ 69, 34 AO herangezogen werden kann, ist derjenige anzusehen, der –ohne formell zum gesetzlichen Vertreter bestellt worden zu sein– den Anschein erweckt, für eine GmbH als Bevollmächtigter oder Verfügungsberechtigter auftreten zu dürfen und als solcher nach außen hin auftritt. Faktischer Geschäftsführer ist nicht, wer von einer ihm eingeräumten Kontovollmacht Gebrauch macht.

2. Eigene Ermittlungen des Finanzamts wegen des Vorliegens einer Steuerstraftrat sind bei einem rechtskräftigen Strafurteil grundsätzlich entbehrlich. Dies gilt jedoch nicht, wenn sich die zur Inanspruchnahme führende Straftat aus den Feststellungen des Strafgerichts nicht zweifelsfrei ergibt.

3. Haftungsinanspruchnahme nach § 71 AO: Das bloße Abheben von Geldern einer GmbH ist eine neutrale, der Steuerhinterziehung nicht weiter förderliche Handlung, denn die steuerliche Erfassung der von der GmbH getätigten Umsätze wird hierdurch nicht erschwert.

4. Führt das Finanzamt im Einspruchsverfahren wegen der Aussetzung der Vollziehung (AdV) eines Haftungsbescheides bei noch nicht abgeschlossenem Einspruchsverfahren hinsichtlich des Haftungsbescheids erstmalig aus, dass der Antragsteller nach § 71 AO haftet, weil es von einem anderem Sachverhalt ausgeht, obwohl sich die tatsächlichen Verhältnisse nicht geändert haben, ist bei der Nachprüfung der Ermessensausübung durch das FG im gerichtlichen Verfahren wegen der AdV gleichwohl zu prüfen, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids bestehen.

 

Normenkette

AO §§ 69, 34, 71, 370 Abs. 1 Nr. 2, §§ 88, 5; FGO §§ 102, 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1

 

Tenor

Der Haftungsbescheid vom 28. Oktober 2002 wird von der Vollziehung ausgesetzt, soweit der Antragsgegner nicht bereits durch den Bescheid vom 22. August 2006 Aussetzung der Vollziehung gewährt hat.

Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheides.

Der Antragsgegner (das Finanzamt – FA –) nahm den Antragsteller mit Bescheid vom 24. Oktober 2002 für Steuerschulden der A-GmbH (GmbH) in Höhe von 2.100.996,49 EUR (Umsatzsteuer und Lohnsteuer 2000 und 2001 nebst Nebenleistungen) in Haftung. Zur Begründung führte das FA aus, der Antragsteller hafte als faktischer Geschäftsführer gem. §§ 34, 69 Abgabenordnung (AO), denn er habe Kontovollmacht für die beiden Konten der GmbH gehabt, Geldbeträge in erheblichem Umfang abgehoben und Vertragsverhandlungen geführt. Zudem sei er bei den Vertragspartnern der GmbH Ansprechpartner für Mängelrügen gewesen. Außerdem beruhe die Inanspruchnahme auf § 71 AO. Der Antragsteller habe eine Steuerhinterziehung gem. § 370 AO begangen, indem er ab dem 4. Kalendervierteljahr 2000 weder Voranmeldungen noch Jahreserklärungen eingereicht habe. Damit habe er von der GmbH in erheblichem Umfang getätigte Umsätze verschwiegen. Der Antragteller habe mit Hilfe der GmbH als sogenanntes „Serviceunternehmen” die Tätigkeit anderer selbständiger Baukolonnen verschleiert und hierdurch den Kolonnenschiebern, die Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuergesetzes und Arbeitgeber im Sinne des Einkommensteuergesetzes seien, Beihilfe bei den von diesen begangenen Umsatzsteuer- und Lohnsteuerhinterziehungen für die Jahre 2000 und 2001 geleistet.

Zur Begründung des hiergegen eingelegten Einspruchs trägt der Antragsteller vor, er sei nicht faktischer Geschäftsführer der GmbH gewesen. Dieser Vorwurf sei nicht haltbar.

Über den Einspruch hat das FA bislang nicht entschieden.

Der Antragsteller wurde auch strafrechtlich verfolgt. Nach den Feststellungen des Landgerichts B beschlossen C, die Brüder D und E sowie F eine Firma zu gründen, um den Einsatz von illegal Beschäftigten im Baubereich im gesamten Bundesgebiet zu verschleiern. C gründete daraufhin im gleichen Jahr die A-GmbH, für deren Steuerschulden der Antragsteller in Anspruch genommen wurde. Einziger Gesellschafter und Geschäftsführer war C. Die vorgenannten Personen akquirierten im gesamten Bundesgebiet (jeder für eine ihm zuvor zugewiesene Region) Aufträge für die GmbH. Die von der GmbH getätigten Umsätze wurden nur in einem ganz geringen Umfang der Umsatzbesteuerung unterworfen.

Auf Vermittlung des F stellte der Geschäftsführer C den Antragsteller als „Vertrauensmann” für Geldangelegenheiten ein. Hierfür stellte C dem Antragsteller eine Generalvollmacht zur Vertretung der GmbH aus.

Der Antragsteller hob daraufhin von den Konten der GmbH zwischen dem 20. April 2000 und dem 25. Juli 2001 insgesamt 5.972.471,70 DM ab und händigte die abgehobenen Beträge C, den Brüdern D und F aus. Zudem betreute der Antragsteller einige Baustellen im G-Gebiet, ohne über Kenntnisse aus der Baubranche zu verfügen. Nach Anweisung von C zahlte der A...

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