Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung von Nr. 2301 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG im finanzgerichtlichen Kostenfestsetzungsverfahren. Verwaltungsverfahren kein Vorverfahren i. S. v. § 139 Abs.1 FGO. nur betragsmäßiges Verböserungsverbot im Erinnerungsverfahren
Leitsatz (redaktionell)
1. War der Rechtsanwalt bereits im vorangegangenen Verwaltungsverfahren tätig, wird die nach Nr. 2301 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG (VV RVG) im Vorverfahren verdiente Geschäftsgebühr nicht zunächst nach Nr. 2300 VV RVG berechnet, um erst im Anschluss daran die Regelung der Nr. 2301 VV RVG zur Anwendung zu bringen. Die Geschäftsgebühr entsteht vielmehr von Anfang an nur in dem von Nr. 2301 VV RVG bestimmten (reduzierten) Umfang; Nr. 2301 VV RVG ist daher keine Anrechnungsvorschrift i. S. d. § 15a RVG. Dass das Verwaltungsverfahren (Ausgangsverfahren) und das sich anschließende Vorverfahren nach § 17 Nr. 1 RVG zwei voneinander unabhängige selbständige Verfahren sind, die getrennt voneinander abzurechnen sind, ändert daran nichts.
2. Das Vorverfahren i. S. d. § 139 Abs. 1 FGO ist nur das Einspruchsverfahren nach den §§ 347 ff. der Abgabenordnung (AO), nicht aber das dem Einspruchsverfahren vorhergegangene Verwaltungsverfahren vor der Ausgangsbehörde.
3. Wenn ein Bürger schon vor Erlass eines Verwaltungsaktes im Verwaltungsverfahren einen Rechtsanwalt beteiligt und dessen Tätigkeit Erfolg hat, muss er dessen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG selbst zahlen und bekommt sie nicht von der Behörde erstattet. Dass er diese allgemeine Geschäftsgebühr nicht von der Behörde erstattet bekommt, kann ihm aber auch dann zugemutet werden, wenn er mit seinem Anliegen nicht „auf Anhieb”, sondern erst im Einspruchs- oder Klageverfahren Erfolg hat. Dies gilt umso mehr, als kein allgemein gültiger Rechtsgrundsatz besteht, dass eine Kostenerstattung zu Gunsten des Obsiegenden stets alle Kosten – also auch die im Verwaltungsverfahren angefallenen Aufwendungen – umfassen muss, wenn der Bürger letztlich mit seinem Begehren durchdringt.
4. Das im Erinnerungsverfahren geltende Verböserungsverbot bedeutet zwar, dass das Gericht die Kostenfestsetzung nicht zum Nachteil des Erinnerungsführers ändern darf. Dieses Verbot bezieht sich jedoch nur auf das errechnete Ergebnis, d.h. die Höhe des festgesetzten bzw. festzusetzenden Erstattungsbetrages.
Normenkette
RVG § 15a Abs. 1-2, § 17 Nr. 1; RVG Anlage 1 zu § 2 Abs. 2; RVG Nrn. 2300-2301; Vergütungsverzeichnis zum RVG Nrn. 2300-2301; FGO § 149 Abs. 1, § 139 Abs. 1
Tenor
Der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (Aktenzeichen: 5 K 5141/11) vom 02. Januar 2013 wird wie folgt geändert:
Die von der Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten werden auf 1.224,91 EUR (in Worten: Eintausendzweihundertvierundzwanzig und 91/100 Euro) festgesetzt.
Der festgesetzte Betrag ist ab dem 10. Dezember 2012 mit fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuches zu verzinsen (§ 155 FGO, § 104 Abs. 1 S. 2 ZPO).
Die Kosten Erinnerungsverfahrens hat der Erinnerungsgegner zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Erinnerungsführerin begehrt die Kürzung des dem Erinnerungsgegner zu erstattenden Betrages im Hinblick darauf, dass dessen Bevollmächtigter bereits im Verwaltungsverfahren tätig war.
Der Erinnerungsgegner beantragte im November 2007 zunächst selbst – d.h. ohne Hinzuziehung eines Bevollmächtigten – bei der Familienkasse R. der Bundesagentur für Arbeit Kindergeld. Diesen Antrag lehnte die Familienkasse R. der Bundesagentur für Arbeit mit Bescheid vom 06. Dezember 2007 ab. Mit Schriftsatz vom 02. Juli 2008 zeigte der Bevollmächtigte des Erinnerungsgegners der Familienkasse R. der Bundesagentur für Arbeit seine Bevollmächtigung an und erhob in der Folgezeit – nachdem er Kenntnis von dem Bescheid vom 06. Dezember 2007 erhalten hatte – gegen diesen Einspruch. Die Familienkasse R. der Bundesagentur für Arbeit verwarf den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 05. November 2009 als unzulässig.
Mit Bescheid vom 16. Februar 2010 hob die Familienkasse R. der Bundesagentur für Arbeit den genannten Bescheid vom 06. Dezember 2007 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05. November 2009 auf.
In dem nunmehr erneut durchgeführten Verwaltungsverfahren zu dem im November 2007 gestellten Antrag des Erinnerungsgegners wurde dieser (weiterhin) von seinem Bevollmächtigten vertreten. Die Familienkasse R. der Bundesagentur für Arbeit entschied mit Bescheid vom 26. November 2010 über den Antrag des Erinnerungsgegners. Der dagegen von dem Bevollmächtigten des Erinnerungsgegners für diesen erhobene Einspruch wurde von der Familienkasse R. der Bundesagentur für Arbeit mit Einspruchsentscheidung vom 22. November 2011 als unbegründet zurückgewiesen.
Der Erinnerungsgegner erhob mit anwaltlichem Schriftsatz vom 27. Dezember 2011 Klage gegen die Entscheidung der Familienkasse R. der Bundesagentur für Arbeit, die bei dem Senat unter dem gerichtlichen Aktenzeichen 5 K 5141/11 bearbeitet w...