Entscheidungsstichwort (Thema)
Verpflichtung des FA zur Sachverhaltsaufklärung sowie wie zur Hinzuschätzung steuerpflichtiger Einnahmen aufgrund unzureichender und unrichtiger Erklärungen des Steuerpflichtigen zur Herkunft von Bargeld in Höhe von über 135.000 EUR
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung: War der Steuerpflichtige, der in zwei Jahren zunächst Sozialleistungen bezogen und im zweiten Jahr eine Gaststätte eröffnet hat, in dieser Zeit im Besitz von Bargeldbeträgen in einer Höhe von mindestens 135.000 EUR, von denen allenfalls ein Teil wie vom Steuerpflichtigen angegeben von einer Angehörigen bzw. aus der Gaststätte stammen kann, so ist das FA zu einer Untersuchung des Sachverhalts hinsichtlich seiner steuerlichen Relevanz und bei einer unzureichenden Mitwirkung und Aufklärung seitens des Steuerpflichtigen auch zu einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen bzw. Hinzuschätzung von steuerpflichtigen Einnahmen verpflichtet.
2. Auf die Aufstellung einer dem Einzelfall angepassten Vermögenszuwachs- oder Geldverkehrsrechnung kann bei der Schätzung verzichtet werden, wenn die Verhältnisse des Streitfalls einfach gelagert und leicht überschaubar sind (vgl. BFH, Urteil v. 28.5.1986, I R 265/83).
3. Auch wenn den Steuerpflichtigen ungeachtet seiner Pflicht zur Auskunftserteilung und Mitwirkung keine Verpflichtung trifft, einen in sich geschlossenen Nachweis über die Herkunft seines Privatvermögens zu führen, kann die Behauptung eines unzutreffenden Sachverhalts durch den Steuerpflichtigen jedoch der Verschleierung der wahren Herkunft des Vermögens und damit auch der Verschleierung steuerpflichtiger Einkünfte dienen; das kann bei unzureichender bzw. unrichtiger Aufklärung des Steuerpflichtigen über die Herkunft erheblicher Bargeldbestände der Fall sein.
4. Der Senat hält es im summarischen Verfahren der Aussetzung der Vollziehung für angemessen, die im Jahr der Eröffnung der Gaststätte festgestellten ungeklärten Barbeträge zeitanteilig aufzuteilen und den Teil, der auf den Zeitraum vor der Betriebseröffnung entfällt, als private, nach § 22 EStG steuerbare sonstige Einkünfte und den Teil des ungeklärten Bargeldes, der auf die Zeit ab Betriebseröffnung entfällt, als einkommen-, umsatzsteuer- und gewerbesteuerpflichtige Betriebseinnahmen einzustufen.
Normenkette
AO §§ 85, 88 Abs. 1, §§ 90, 93 Abs. 1, § 162 Abs. 1, 2 S. 1; EStG § 4 Abs. 1, 3, § 22 Nrn. 2-3, § 23; FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1, § 96 Abs. 1 Sätze 1-2; GewStG § 7 S. 1; UStG § 2 Abs. 1
Tenor
Die Vollziehung des Bescheides für 2008 über den Gewerbesteuermessbetrag vom 26. Februar 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. Juni 2016 wird bis zum Ablauf eines Monats nach Abschluss des Verfahrens 4 K 713/16 mit der Maßgabe ausgesetzt, dass vorläufig von einem abgerundeten Gewerbeertrag von 38.400 EUR und mithin von einem Gewerbesteuermessbetrag von 486 EUR auszugehen ist.
Die Vollziehung des Bescheides für 2008 über Umsatzsteuer vom 26. Februar 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. Juni 2016 wird bis zum Ablauf eines Monats nach Abschluss des Verfahrens 4 K 713/16 in Höhe von 3.350 EUR ausgesetzt.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens haben der Antragsteller und der Antragsgegner jeweils zur Hälfte zu tragen.
Tatbestand
I.
Streitig sind Hinzuschätzungen aufgrund einer Steuerfahndungsprüfung.
Der Antragsteller ist verheiratet und hat zwei Söhne, die im Streitjahr elf bzw. 16 Jahre alt waren.
Er war in den Jahren bis 2004 mit – nach eigenen Angaben: guter Entlohnung – nicht selbstständig tätig. Von 2005 bis einschließlich Mai 2008 war er arbeitslos. In dieser Zeit bezog er als Mitglied der aus seiner Familie bestehenden Bedarfsgemeinschaft Arbeitslosengeld in Höhe von rund 37.000 EUR. Seit Juni 2008 erzielte er gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb einer Gaststätte namens „C” in D. Der durch Einnahmeüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) ermittelte Gewinn betrug im Streitjahr 9547,25 EUR, die Umsätze einschließlich Eigenverbrauch 36.592 EUR.
Die Ehefrau des Antragstellers erzielte im Streitjahr Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit in Höhe von 4050 EUR. Am 15. November 2008 erhielt sie von ihrer Großmutter einen Bargeldbetrag in Höhe von 35.000 EUR als Geschenk.
Der Antragsgegner veranlagte den Antragsteller für das Streitjahr mit Bescheid vom 8. Oktober 2010 zunächst erklärungsgemäß zur Einkommensteuer und setzte die Steuer auf null Euro fest. Für die Jahre 2005 bis 2007 liegen Steuererklärungen nicht vor; der Antragsteller und seine Ehefrau waren in dieser Zeit steuerlich nicht erfasst.
Durch eine Anzeige nach dem Geldwäschegesetz der E eG war im Juni 2008 bekannt geworden, dass der Antragsteller große Bargeldbeträge sowohl auf verschiedene Konten eingezahlt als auch von kleinen (5, 10, 20, 50, 100, 200 EUR) in größere Scheine gewechselt hatte. Die Staatsanwaltschaft F leitete daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Sozialleistungsbetruges ein....