Entscheidungsstichwort (Thema)
Nicht vollständige Zahlung von Schuldzinsen als neue Tatsache bei unzulänglicher Sachverhaltsermittlung des Sachbearbeiters des FA und unrichtigen Angaben des Steuerpflichtigen in der Steuererklärung
Leitsatz (redaktionell)
1. Der auch im Steuerrecht geltende Grundsatz von Treu und Glauben verbietet der Finanzbehörde, unter Berufung auf das nachträgliche Bekanntwerden einer Tatsache einen Änderungsbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu erlassen, wenn ihr die Tatsache vor dem Erlass des zu ändernden Bescheides infolge Verletzung der ihr obliegenden Ermittlungspflicht zunächst verborgen geblieben ist. Diese Einschränkung der Änderungsbefugnis greift indes nur ein, wenn der Steuerpflichtige seinerseits die ihm obliegenden Mitwirkungspflichten in zumutbarer Weise erfüllt hat.
2. Liegen sowohl eine Verletzung der Ermittlungspflicht durch das FA als auch eine Verletzung der Mitwirkungspflicht durch den Steuerpflichtigen vor, sind die beiderseitigen Pflichtverletzungen grundsätzlich gegeneinander abzuwägen. In einem solchen Fall trifft in der Regel die Verantwortlichkeit den Steuerpflichtigen mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann.
3. Hat der Steuerpflichtige als Nachweis für Schuldzinsen des Streitjahres eine Verzugszins-/Gebührenabrechnung der Bank aus dem Folgejahr vorgelegt, in der u. a. die im Streitjahr entstandenen Schuldzinsen und die im Folgejahr für diese Schuldzinsen entstandenen Verzugszinsen aufgelistet sind, nicht aber ausdrücklich der Umstand, dass die entstandenen Zinsen im Streitjahr nicht in voller Höhe bezahlt worden sind, und hat der Steuerpflichtige in seiner Steuererklärung die entstandenen und nicht nur die niedrigeren tatsächlich gezahlten Schuldzinsen als Werbungskosten geltend gemacht, so kann das FA den bestandskräftig gewordenen, einen überhöhten Schuldzinsenabzug gewährenden Einkommensteuerbescheid später nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ändern. Der Umstand, dass der Sachbearbeiter des FA bereits bei der Bearbeitung der Einkommensteuererklärung vor Erlass des ursprünglichen Bescheids aus der Vorlage einer Verzugszinsenabrechnung auf eine nicht vollständige Zahlung der Schuldzinsen im Streitjahr schließen hätte können und möglicherweise seine Pflicht zur Sachverhaltsermittlung verletzt hat, wird deutlich durch die Verletzung der Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen (wahrheitswidrige Angabe deutlich überhöhter Schuldzinsen) überlagert.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 88; EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 1, § 11 Abs. 2 S. 1; BGB § 242
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Einkommensteuerbescheid 2008 geändert werden durfte.
Am 9. November 2009 ging beim Beklagten die Einkommensteuererklärung 2008 ein. Der Kläger erklärte darin Schuldzinsen (ohne Tilgungsbeträge) aus Darlehen mit der B-Bank wegen des Grundstücks …straße in C. i.H.v. 34.073 EUR.
Der Erklärung war eine Verzugszins-/Gebührenabrechnung der B-Bank vom 6. April 2009 für den Zeitraum 1. Januar bis 31. März 2009 beigefügt, auf deren Rückseite eine Abrechnung der Verzugszinsen zu finden ist. U.a. finden sich dort verschiedene mit „Zinsen” für „Vorperiode” kenntlich gemachte Beträge. Diese summieren sich auf 38.423 EUR und es werden Verzugszinsen berechnet. Der Bearbeiter im Finanzamt vermerkte auf dem Schreiben, „Vorperiode 2008”, kreuzte die mit Zinsen für Vorperiode kenntlich gemachten Beträge an und vermerkte „38.423,09 Zinsen beantr. = 34.522 i.O.”.
Am 10. Februar 2010 erging der Einkommensteuerbescheid für 2008. Die Einkommensteuer 2008 wurde auf 1.408,00 EUR festgesetzt. Die Werbungskosten wurden antragsgemäß berücksichtigt.
In der Einkommensteuererklärung für 2009 erklärte der Kläger Werbungskosten wegen Schuldzinsen für das Grundstücks …straße … in C. i.H.v. 73.448 EUR. Im Rahmen des weiteren Verfahrens erklärte der Kläger, dass die Schuldzinsen so hoch seien, weil er im Vorjahr nicht alle fälligen Schuldzinsen gezahlt habe und übersandte am 6. Dezember 2011 eine Zinsbescheinigung der B-Bank für die im Zeitraum 1. Januar bis 31. Dezember 2008 gezahlten Zinsen. Ausweislich dieser Aufstellung wurden Zinsen i.H.v. 16.081,77 EUR gezahlt. Die für 2009 nachgewiesenen Zinszahlungen wurden dieser Veranlagung zugrunde gelegt.
Mit Bescheid vom 19. Dezember 2011 erließ der Beklagte einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 2008, in dem er nunmehr die tatsächlich gezahlten Schuldzinsen i.H.v. 16.081,77 EUR berücksichtigte. Zur Erläuterung führte er aus: „Die Änderung erfolgt aufgrund der nachträglich bekannt gewordenen niedrigeren Zinszahlungen.”.
Dagegen legte der Kläger am 18. Januar 2012 Einspruch ein, der mit Einspruchsentscheidung vom 21. Februar 2012 zurückgewiesen wurde. Am 2. März 2012 wurde Klage erhoben.
Der Kläger meint, der Bescheid sei nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) geändert worden, obwohl die Voraussetzungen nicht gegeben seien. Die Amtsermittlungspflicht gemäß § 88 AO sei verletzt word...