Entscheidungsstichwort (Thema)
Datenzugriff der Betriebsprüfung auf ein elektronisches Warenwirtschaftssystem einer Apothekerin
Leitsatz (redaktionell)
1. Verwendet ein Einzelhändler (hier: Apothekerin) eine PC-Kasse, die die detaillierten Informationen in Bezug auf den einzelnen Verkaufsvorgang aufzeichnet und speichert, muss er dem Betriebsprüfer den diesbezüglichen Datenzugriff nach § 147 Abs. 6 AO gewähren.
2. Entscheidet der Steuerpflichtige sich für ein modernes PC-Kassensystem, das zum einen sämtliche Kassenvorgänge einzeln und detailliert aufzeichnet und zum anderen auch eine langfristige Aufbewahrung (Speicherung) der getätigten Einzelaufzeichnungen ermöglicht, kann er sich nicht (mehr) auf die Unzumutbarkeit der Aufzeichnungsverpflichtung berufen (Anschluss an BFH-Urteile v. 16.12.2014, X R 29/13, BFH/NV 2015, 790; X R 42/13, BStBl II 2015, 519 und X R 47/13, BFH/NV 2015, 793).
Normenkette
AO § 147 Abs. 1, 6, § 146 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1, §§ 143-145; HGB § 238 Abs. 1, § 239 Abs. 2, 4 S. 1; GG Art. 2 Abs. 1, 20, 3
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Datenanforderung im Rahmen der Betriebsprüfung, insbesondere über den Umfang der in § 147 Abs. 6 der Abgabenordnung (AO) geregelten Datenzugriffsrechte.
Die Klägerin betreibt als Einzelunternehmerin in B. eine Apotheke und ermittelt ihren Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes – EStG –). Laut Prüfungsanordnung des Beklagten (das Finanzamt – FA –) vom 11. April 2011 sollte bei der Klägerin eine Betriebsprüfung wegen Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer für die Jahre 2006 bis 2009 stattfinden.
Mit Schreiben vom 05. Mai 2011 forderte das FA die Klägerin – sofern die Buchführung mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellt worden sei – auf, der Außenprüfung einen Datenträger (CD-Rom) mit den steuerlich relevanten Daten zu übersenden; insbesondere die Daten des Warenwirtschaftssystem (WWS) mit entsprechender Datensatzbeschreibung des Systems.
Die Klägerin legte gegen die Aufforderung zur Vorlage der Daten mit Schreiben vom 23. September 2011 Einspruch ein, um den Umfang des Datenzugriffs des FA in einem finanzgerichtlichen Verfahren klären zu lassen.
Das FA wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 19. Januar 2012 als unbegründet zurück. Das FA begründete dies im Wesentlichen damit, dass das Einzelunternehmen der Klägerin als Ist-Kaufmann nach § 1 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) gemäß §§ 238ff. HGB buchführungspflichtig sei, sich der Umfang der Buchführungspflicht aus den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung (GoB) – bzw. den Grundsätzen ordnungsgemäßer datenverarbeitungsgestützter Buchführungssystem (GoBS) – ergebe und hiernach grundsätzlich jede Betriebseinnahme und -ausgabe, soweit zumutbar, mit ausreichender Bezeichnung des Geschäftsvorfalls aufzuzeichnen sei. Im Streitfall seien die Grundaufzeichnungen tatsächlich technisch, betriebswirtschaftlich und praktisch geführt worden, so dass sich die Frage der Zumutbarkeit nicht mehr stelle. Es gebe zudem außensteuerliche (§ 22 der Verordnung über den Betrieb von Apotheken [ApBetrO], § 13 Abs. 3 des Betäubungsmittelgesetzes [BtmG] i.V.m. §§ 13 bis 15 der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung) und steuerliche (§ 22 des Umsatzsteuergesetzes [UStG] i.V.m. §§ 63ff. der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung [UStDV], § 4 Abs. 5 i.V.m. Abs. 7 EStG) Aufzeichnungspflichten zu beachten. Wegen der weiteren Begründung wird auf die in den Akten befindliche Einspruchsentscheidung verwiesen.
Gegen die Einspruchsentscheidung hat die Klägerin am 22. Februar 2012 Klage erhoben. Die Klägerin stellt sich auf den Standpunkt, die streitgegenständliche Datenanforderung sei rechtswidrig. Es handele sich um einen Streit, der „akut quer durch die Republik gehe. Er beziehe sich auf die Frage, wieweit die Datenzugriffsrechte der Finanzverwaltung nach § 147 Abs. 6 AO gehen”. Der – damalige – Prozessbevollmächtigte habe zu diesem Spezialthema einen Fachaufsatz publiziert. In diesem Aufsatz sei die Rechtslage im steuerrechtsdogmatischen Kontext „auf der Basis der wegweisenden (neuen) Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) in seinem Urteil vom 24. Juni 2009 VIII R 80/06 (BStBl II 2010, 452) analysiert”. Zur im Wesentlichen steuerrechtsdogmatischen Klagebegründung wird im Einzelnen auf die Klageschrift vom 22. Februar 2013 verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
den Datenanforderungsbescheid des Beklagten vom 05. Mai 2011 in Form der Einspruchsentscheidung vom 19. Januar 2012 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das FA verweist zur Begründung im Wesentlichen auf seine Einspruchsentscheidung vom 19. Januar 2012.
Mit Beschluss vom 16. August 2013 hat der Berichterstatter das Ruhen des Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss des beim BFH unter dem Aktenzeichen X R 29/13 anhängigen Verfahrens angeordnet. Gegenstand des dortigen Verfahrens war der U...