rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsübernehmerhaftung bei Übernahme eines Mandantenstammes. Umsatzsteuerhaftung des Betriebsübernehmers
Leitsatz (amtlich)
1. Die Übernahme des allein noch vorhandenen Mandantenstammes einer Steuerberaterpraxis kann die Betriebsübernehmerhaftung nach § 75 Abs. 1 Satz 1 AO auslösen.
2. Die Inhaftungnahme des Übernehmers ist jedoch nicht ermessensgerecht, wenn bereits beim Erlass des Haftungsbescheids bzw. beim Ergehen der Einspruchsentscheidung feststeht, dass kein übernommenes Vermögen, in das vollstreckt werden kann, (mehr) vorhanden ist.
3. Das ist nach Ablauf von fünf Jahren seit der Übernahme einer Einzelpraxis der Fall, weil sich nach der Rechtsprechung des BFH die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer eines derivativ erworbenen Einzelpraxiswertes auf längstens fünf Jahre beläuft, so dass danach nicht mehr übernahmebedingt in Honorarforderungen gegen die übernommenen Mandanten vollstreckt werden kann.
Normenkette
AO § 75 Abs. 1 Sätze 1-2
Tenor
Der Haftungsbescheid vom 21. Juni 1989 in Form der Einspruchsentscheidung vom 28. Mai 1996 wird ersatzlos aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Tatbestand
Die Klägerin, eine GmbH, betreibt eine Steuerberatungsgesellschaft. Durch Vertrag vom 2. Mai 1986 (Bl. 96 ff. USt) erwarb sie mit Wirkung ab 15. Mai 1986 von Frau H. K-S den Mandantenstamm der Steuerberatungspraxis ihres 1983 verstorbenen Ehemannes, die bis zu ihrer Veräußerung von einem Steuerberater treuhänderisch geführt worden war (Bl. 59 BA; 96 USt). Der Kaufpreis war nach den Jahresdurchschnittshonoraren (= 608.150 DM) zuzüglich eines Zuschlags bemessen und belief sich – einschließlich gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer in Höhe von 106.426,25 DM – auf insgesamt 866.613,75 DM. Er wurde durch Verrechnung mit einer Darlehensschuld und die Übernahme von Bankschulden der Veräußerin erbracht.
Die Praxiseinrichtung war einem Bankinstitut sicherungsübereignet (Bl. 48 ff. BA). Eine Schreibkraft und eine Steuerfachgehilfin des bisherigen Praxispersonals beschäftigte die Klägerin vorübergehend weiter (Bl. 95).
Bei der Veräußerin handelte es sich um die überschuldete Mutter (eidesstattliche Versicherung in 1986, Bl. 76 ff. BA) der damaligen Gesellschafter/Geschäftsführer der Klägerin (Bl. 99 USt; 2 AdV; 27 BA).
Am 11. Juli 1986 ging die Umsatzsteuer-Voranmeldung der Veräußerin betreffend die im Veräußerungsvertrag vom 2. Mai 1986 ausgewiesene Umsatzsteuer beim Beklagten ein (Bl. 95 USt). Sie wurde nicht entrichtet. Nachfolgende Vollstreckungsmaßnahmen des Beklagten blieben ohne Erfolg.
Mit Zustimmung des Finanzamtes T. hat die Klägerin den Nettokaufpreis für den übernommenen Mandantenstamm aktiviert und zunächst auf 15 Jahre abgeschrieben (Bl. 58).
Durch Bescheid vom 21. Juni 1989 nahm der Beklagte die Klägerin gemäß § 75 Abgabenordnung (AO) für den von der Veräußerin geschuldeten Umsatzsteuerbetrag in Haftung (Bl. 111 f. BA). Ihren hiergegen fristgerecht eingelegten Einspruch (HaftA) wies er durch Einspruchsentscheidung vom 28. Mai 1996 als unbegründet zurück (Bl. 14 ff.).
Dagegen richtet sich die am 20. Juni 1996 erhobene Klage.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß Bl. 4),
den Haftungsbescheid vom 21. Juni 1989 in Form der Einspruchsentscheidung vom 28. Mai 1996 ersatzlos aufzuheben.
Sie macht geltend: Die Inhaftungnahme sei nach Treu und Glauben bereits wegen der siebenjährigen Dauer des Einspruchsverfahrens und einer vom früheren Vorsteher des Beklagten in Aussicht gestellten positiven Bescheidung des Einspruchs verwirkt (Bl. 27 f.; 31).
Davon abgesehen seien aber auch die Haftungsvoraussetzungen des § 75 AO nicht gegeben. Weder sei ein lebendes Unternehmen im Ganzen noch ein abgrenzbarer Teilbetrieb, sondern allein der Mandantenstamm der Praxis übernommen worden, wozu es im Übrigen der Zustimmung der einzelnen Mandanten bedurft habe (Bl. 29, 30, 101 FG, 14 Rb).
Zudem habe der Mandantenstamm nur nach größeren Investitionen – Ausweitung des Personalbestandes und Bezug größerer Praxisräume – weiter betreut werden können (Bl. 64, 66 ff.; 82 f.).
Darüber hinaus verwechsele der Beklagte ständig die haftungsbegründenden Merkmale des § 75 AO mit dessen Haftungsgegenstand (Bl. 82). Diesen bilde gemäß der Haftungsbeschränkung des § 75 Abs. 1 Satz 2 AO allein das übernommene Vermögen, in das aber hier, weil es sich bei dem Mandantenstamm um ein immaterielles Wirtschaftsgut handele, nicht vollstreckt werden könne (Bl. 29, 82).
Auch in Honorarforderungen aus dem Mandantenstamm könne nicht vollstreckt werden, weil künftige Honoraransprüche durch eigene Beratungsleistungen der Klägerin erworben und offene Honorarforderungen der vormaligen Einzelpraxis nicht übernommen worden seien (Bl. 30, 95, 101 FG,; 27 AdV).
Zudem sei der Erlass eines nicht vollstreckbaren Haftungsbescheides nach finanzgerichtlicher Rechtsprechung ermessenfehlerhaft (Bl. 30, 102; 27 AdV).
Der Beklagte beantragt (Bl. 41),
die Klage als unbegründet abzuweisen.
Er trägt vor: Der Haftungsanspruch nach § 75 AO se...