Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen für Zwangsruhe eines Einspruchsverfahrens

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Grundsätzlich setzt die Zwangsruhe gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO voraus, dass sich der Einspruchsführer in seiner Einspruchsbegründung, die auch nachgeholt werden kann, auf ein bestimmtes Verfahren vor dem BFH oder dem BVerfG stützt und nachweist, dass das Musterverfahren, auf das er sich stützt, (noch) anhängig ist.

2. Haben zunächst die Voraussetzungen für die Zwangsruhe nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO vorgelegen, sind sie aber nach Entscheidungen des BFH weggefallen, und wurde sodann gegen eine dieser Entscheidungen Verfassungsbeschwerde eingelegt, liegen die wesentlichen Voraussetzungen des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO wieder vor. Ob das FA tatsächlich Kenntnis von dem Verfassungsbeschwerdeverfahren hat, ist dabei unerheblich, da das Gesetz die Zwangsruhe nicht von der positiven Kenntnis der Finanzbehörde von dem betreffenden Verfahren abhängig macht.

3. Hier: Verfahrensruhe wegen der Rechtsfrage, ob das VStG auch nach dem 31.12.1996 auf alle bis zu diesem Zeitpunkt verwirklichten Tatbestände weiterhin anwendbar ist.

4. Eine gesetzlich angeordnete Verfahrensruhe kann nicht durch einseitige Erklärung der Finanzbehörde beseitigt werden.

 

Normenkette

AO 1977 § 363 Abs. 2 S. 2

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Beklagte wegen § 363 Abs. 2 Satz 2 AbgabenordnungAO – daran gehindert war, die angefochtene Einspruchsentscheidung zu erlassen.

Auf die von der Klägerin am 7. Mai 1996 eingereichte Vermögensteuer-Erklärung setzte der Beklagte durch Bescheid vom 6. Februar 1997 die Vermögensteuer auf den 1. Januar 1995 fest (Vermögensteuerakte – VSt –, Bl. 64.).

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 20. Februar 1997, beim Beklagten am 24. Februar 1997 eingegangen, Einspruch ein und führte zur Begründung an, dass nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes – BVerfG – vom 22. Juli 1995 2 BvL 37/91 eine Vermögensteuer-Festsetzung nach dem 31. Dezember 1996 für davor liegende Zeiträume nicht mehr zulässig sei. Ferner hat sie angeregt, das Verfahren im Hinblick auf die beim Bundesfinanzhof – BFH – anhängigen Revisionsverfahren II R 54/96 und II R 8/97 vorerst ruhen zu lassen (Rechtsbehelfsakte – Rbh –, Bl. 11, 15). Nachdem der BFH mit seinem Beschluss vom 18. Juni 1997 (II B 33/97, BStBl. II 1997, 515) und mit seinem Urteil vom 30. Juli 1997 (II R 9/95, BStBl. II 1997, 635) entschieden hatte, dass das Vermögensteuergesetz – VStG – auf alle vor 1997 endenden Veranlagungszeiträume unabhängig davon fortgelte, wann und durch wen im Einzelfall über die Steuerfestsetzung für diese Zeiträume entschieden werde, hat der Beklagte den Einspruch mit seiner Einspruchsentscheidung vom 13. November 1997 als unbegründet zurückgewiesen.

Mit ihrer Klage, die mit Schreiben vom 16. Dezember 1997 erhoben und am selben Tage beim Gericht eingegangen ist, wendet sich die Klägerin gegen die Einspruchsentscheidung. Sie ist im Wesentlichen der Auffassung, dass der Beklagte die Einspruchsentscheidung nicht hätte erlassen dürfen, da das Verfahren zu jenem Zeitpunkt wegen der beim BVerfG unter dem Geschäftszeichen 1 BvR 1831/97 anhängigen Verfassungsbeschwerde gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO kraft Gesetzes geruht habe.

Sie beantragt,

die Einspruchsentscheidung vom 13. November 1997 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage als unbegründet abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, dass eine gesetzliche Zwangsruhe im Sinne von § 362 Abs. 2 Satz 2 AO nicht eintreten konnte. Das Verfassungsbeschwerdeverfahren, auf das sich die Klägerin beziehe, sei zum Zeitpunkt der Einspruchserhebung nicht anhängig gewesen, da selbst in der Liste der anhängigen Verfahren vom 31. Dezember 1997 (Beilage Nr. 4/97 Bundessteuerblatt Teil II – BStBl. II – 1997 Nr. 22) die entscheidungserhebliche Verfassungsbeschwerde 1 BvR 1831/97 nicht bezeichnet worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 40 Abs. 1 1. Alt. Finanzgerichtsordnung – FGO –) zulässig. Sie richtet sich zulässigerweise isoliert gegen die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 13. November 1997, da die Klägerin insoweit beschwert ist (vgl. hierzu beispielsweise Birkenfeld, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 363 AO, Rdnr. 133 unter Hinweis auf Rößler, DStZ 1995, 279 [271]).

Das allgemeine Rechtsschutzinteresse der Klägerin besteht nach wie vor. Es ist nicht etwa deshalb entfallen, weil das BVerfG in seinem Beschluss vom 30. März 1998 1 BvR 1831/97, BStBl. II 1998, 422, die gegen einen Beschluss des Finanzgerichtes – FG – Münster (Beschluss vom 14. August 1997 3 V 4881/97 VSt) erhobene Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen hat. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin durch die angefochtene Einspruchsentscheidung in ihrem Grundrechten aus Art...

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