Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschäftsführerhaftung nach dem Grundsatz der anteiligen Tilgung nur beim Vorhandensein von Mitteln. keine Haftung einer GmbH-Geschäftsführerin aufgrund einer vor vielen Jahren für die GmbH vereinbarten Globalzession zugunsten einer Bank

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Geschäftsführer verletzt bei Zahlungsschwierigkeiten einer GmbH seine steuerlichen Verpflichtungen nur dann schuldhaft und kausal, wenn er die rückständigen Steuern und Nebenleistungen nicht in ungefähr dem gleichen Verhältnis tilgt wie die Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern (Grundsatz der anteiligen Tilgung). Eine solche Pflichtverletzung ist aber nur gegeben, wenn der Gesellschaft im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuer überhaupt noch Zahlungsmittel zur Verfügung stehen, nicht aber, wenn wie im Urteilsfall die Konten der Gesellschaft im streitigen Zeitraum keine nennenswerten Guthaben mehr ausgewiesen haben und lediglich noch ein geringer Bargeldbestand vorhanden war.

2. Ein Verstoß gegen die Mittelvorsorgepflicht eines Geschäftsführers liegt nicht schon generell bei einer Globalzession oder der Einräumung von Sicherungsrechten an, sondern nur, wenn die Zession bzw. Einräumung von Sicherungsrechten zu einem Zeitpunkt erfolgt ist, zu dem die Steuerschulden schon entstanden oder zumindest vorhersehbar sind. Eine haftungsbegründende Pflichtverletzung einer Geschäftsführerin kann daher nicht vorliegen, wenn sie bereits fünf Jahre vor Eintritt der finanziellen Krise bei der GmbH und dem Entstehen der später nicht mehr beglichenen Umsatzsteuerverbindlichkeiten der GmbH eine Globalzession der GmbH zugunsten eines Kreditinstituts vereinbart hat (Abgrenzung zu der Rspr. des FG Münster in den Urteilen vom 16.1.2014, 9 K 2879/10 L und 9 K 2880/10).

3. Die Vermögensvorsorgepflicht des Geschäftsführers geht nicht soweit, diesen zu verpflichten, ständig liquide Mittel zur Tilgung – auch künftiger – Steuerschulden vorzuhalten.

4. Die zur Lohnsteuer ergangene Rechtsprechung, wonach ein Geschäftsführer, der die Löhne ungekürzt auszahlt, dann nicht pflichtwidrig handelt, wenn er im Zeitpunkt der Lohnzahlung davon ausgehen durfte, dass die angemeldete Lohnsteuer aufgrund der Deckung des Kontokorrentkontos und der der Finanzbehörde erteilten Einzugsermächtigung auch tatsächlich abgeführt werden könnte (vgl. BFH, Beschluss v. 19.2.2010, VII B 190/09), kann nicht ohne Weiteres auf eine Haftung für Umsatzsteuerschulden übertragen werden.

 

Normenkette

AO § 191 Abs. 1, § 69 S. 1, § 34 Abs. 1 Sätze 1-2; GmbHG § 35

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 15.05.2018; Aktenzeichen VII R 7/17)

 

Tenor

Der Haftungsbescheid vom 7. November 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. November 2013 wird aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

 

Tatbestand

Die Klägerin war seit dem Jahr 2000 zu 60% am Stammkapital der von ihren Eltern am 10. März 1989 gegründeten D GmbH (im Folgenden: GmbH) beteiligt. Die übrigen 40% hielt der Mitgesellschafter A. Gegenstand des Unternehmens war die Durchführung von Transportleistungen im Güternah- und -fernverkehr. Die Klägerin war seit 17. Januar 2000 alleinige Geschäftsführerin der GmbH.

Nachdem die GmbH vom Hauptzollamt mit Bescheid vom 11. August 2006 wegen Mineralölsteuer in einer Größenordnung von rund 100.000 EUR in Anspruch genommen worden war (siehe Verfahren 2 K 2430/06), geriet sie in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Als der Vater der Klägerin am 4. April 2008 die von ihm gestellte Besicherung des Kontokorrentkredits der GmbH über 130.000 EUR bei der Bank B zurückzog, kündigte die Bank B am 29. April 2008 die Kreditlinie der GmbH. Sie teilte der GmbH mit, dass sie ab sofort keine weiteren Schecks und Lastschriften mehr einlösen werde und forderte sie auf, den Kontokorrentsaldo von rund 110.000 EUR bis zum 27. Mai 2008 auszugleichen. Am 10. Juni 2008 stellte die GmbH wegen drohender Zahlungsunfähigkeit einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Durch Beschluss des Amtsgerichts C wurden am 12. Juni 2008 eine vorläufige Insolvenzverwalterin bestellt und am 1. August 2008 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Auflösung der GmbH wurde am 7. August 2008 im Handelsregister eingetragen.

Die GmbH hatte zum Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung rückständige Steuerschulden aus den Umsatzsteuervoranmeldungen März und April 2008 in einer Gesamthöhe von 35.173,35 EUR. Diese waren aufgrund gewährter Dauerfristverlängerung am 13. Mai sowie am 10. Juni 2008 fällig. Zahlungen seitens der GmbH erfolgten nicht mehr. Der Beklagte prüfte eine mögliche Haftungsinanspruchnahme der Klägerin. Am 11. Juli 2008 richtete er daher ein Auskunftsersuchen an diese. In ihrer Stellungnahme vom 13. Oktober 2008 errechnete die Klägerin eine du...

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