Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlass eines Kindergeldrückforderungsbetrages aus Billigkeitsgründen – Anrechnung des Kindergeldes auf ALG-II Leistungen
Leitsatz (redaktionell)
- Hat der Abzweigungsberechtigte im Zeitraum des Kindergeldbezugs Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Anrechnung des Kindergeldes erhalten und wird eine nachträgliche Anpassung dieser Leistungen im Hinblick auf die Rückforderung des Kindergelds von der Sozialbehörde versagt, kommt der Erlass des Kindergeldrückforderungsbetrages aus sachlichen Billigkeitsgründen in Betracht.
- Wesentlich für eine fehlerfreie Ermessensentscheidung ist, dass das Verhalten (im Sinne von Verursachungsanteilen bzw. Verschulden) des Kindergeldberechtigten, der Sozialbehörde (ARGE, jobcenter, Agentur für Arbeit) und der Familienkasse festgestellt und gewürdigt wird.
- Ein Billigkeitserlass erscheint geboten, wenn der Kindergeldberechtigte seine Mitwirkungspflichten vollständig erfüllt hat und die Sozialbehörde bzw. die Familienkasse die ungerechtfertigte Kindergeldgewährung durch unsorgfältige Bearbeitung mitverursacht haben.
- Einem solchen Erlass steht die Bestandskraft des Rückforderungsbescheids nicht entgegen.
Normenkette
AO § 227 Abs. 1; FGO § 102; EStG § 68 Abs. 1
Tatbestand
Für den Kläger (geboren im Juli 1985) bezog sein Vater Kindergeld. Nachdem der Kläger ab Oktober 2003 den Grundwehrdienst leistete, wurde die Kindergeldfestsetzung ab Oktober 2003 aufgehoben. Im April 2006 beantragte der Vater erneut Kindergeld für den Kläger. Er erläuterte, der Kläger wohne in einem eigenen Haushalt und befinde sich z. Zt. in einer Maßnahme der ARGE (). Die in () lebenden Eltern leisteten keinen Unterhalt. Deshalb beantragte der Kläger bei der zuständigen Familienkasse () die Auszahlung des anteiligen Kindergelds an sich selbst (sog. Abzweigung).
Die Familienkasse … setzte ab Februar 2006 für den Kläger gegenüber dessen Vater Kindergeld fest und zweigte es an den Kläger ab (Bescheide vom 11.04.2006). Der an den Kläger gerichtete Abzweigungsbescheid beinhaltet (in Fettdruck) folgenden Vermerk:
„Sie werden darauf hingewiesen, dass Sie verpflichtet sind, jede wichtige Veränderung (...) unverzüglich unter Angabe der Kindergeldnummer und des Namens des Kindergeldberechtigten der oben genannten Familienkasse mitzuteilen.”
Im Frühjahr 2007 überprüfte die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung und stellte fest, dass der Kläger weiterhin ausbildungssuchend gemeldet war und ALG-II-Leistungen bezog. Im Anschreiben an den Kläger (vom 1.03.2007) heißt es:
„... Sie beziehen Kindergeld unter Berücksichtigung, da Sie keinen Ausbildungsplatz haben bzw. arbeitsuchend sind und den Vermittlungsbemühungen der zuständigen Stelle zur Verfügung stehen. Das weitere Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen muss jährlich nachgewiesen werden.…Bitte teilen Sie der Familienkasse auch sonstige Änderungen, die für den Kindergeldanspruch von Bedeutung sind, jeweils unverzüglich mit. Näheres dazu finden Sie im Merkblatt über Kindergeld.”
Im November 2008 stellte die Familienkasse () fest, dass der Kläger seit 23.10. 2007 aus der Berufsberatung abgemeldet war, eine Fördermaßnahme nach § 16 SGB II begonnen hatte (Berufspraxis Tischlerhelfer 19.11.2007 – 27.03.2008) und sich am 24.05.2008 arbeitslos gemeldet hatte (mit Nebenbeschäftigung ab 17.09.2008). Die Familienkasse gab dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme. Sodann hob sie die Kindergeldfestsetzung rückwirkend ab November 2007 auf und forderte vom Kläger für November 2007 bis November 2008 gezahltes Kindergeld in Höhe von 2.002 € zurück (Bescheid vom 20.01.2009). Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid, der nur gegenüber dem Kläger bekanntgegeben wurde, wurde nicht angefochten.
Mit Schreiben vom 28.09.2012 beantragte der Kläger den Erlass des Rückforderungsbetrages von 2.002 € nebst Nebenforderungen aus Billigkeitsgründen. Er trug vor, das erhaltene Kindergeld sei auf seine ALG-II Leistungen angerechnet worden. Die nachträgliche Korrektur der ALG-II Leistungen zu seinen Gunsten sei nach derzeitiger Rechtsprechung der Sozialgerichte nicht möglich (LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 25.05.2010 L 3 AS 64/10; SG Detmold, Urteil vom 18.01.2011 S 18 AS 201/09; BSG-Urteil vom 23.08.2011 B 14 AS 165/10 R, SGb 2012, 470). Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sei ein Billigkeitserlass gerechtfertigt (BFH-Urteil vom 22.09.2011 III R 78/08, BFH/NV 2012, 204).
Die Familienkasse lehnte den Erlassantrag ab (Bescheid vom 13.11.2012). Ein Erlass aus persönlichen Gründen scheide aus; denn der Kläger stehe seit länger als einem Jahr in Beschäftigung. Es sei ihm zumutbar, die Schuld ggf. in Raten zu tilgen. Ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen komme in Frage, wenn die Rückforderung des Kindergelds zu einem vom Gesetzgeber nicht gewollten Ergebnis führen würde. Dies sei hier nicht der Fall. Eine Billigkeitsmaßnahme sei nicht geboten, wenn – wie hier – eindeutige Versäumnisse des Betroffenen/ Kindergeldberechtigten vorlägen. ...