Entscheidungsstichwort (Thema)
Billigkeitserlass der Rückforderung von Kindergeld bei Anrechnung auf SGB-II Leistungen; Mitwirkungspflichtverletzung
Leitsatz (redaktionell)
Die Familienkasse ist zum Erlass eines auf der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung wegen Fehlens der Anspruchsvoraussetzungen beruhenden Kindergeld-Rückforderungsanspruchs verpflichtet, soweit das Kindergeld im Festsetzungszeitraum auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II tatsächlich angerechnet worden ist und der Kindergeldberechtigte die ungerechtfertigte Überzahlung des Kindergelds nicht durch die Verletzung seiner Mitwirkungspflicht selbst herbeigeführt hat (vgl. V 25.2 Abs. 2 Satz 3 DA-KG 2017).
Normenkette
AO § 227 Abs. 1; EStG § 62 Abs. 2 Nrn. 2-3, § 68 Abs. 1; AufenthG § 25 Abs. 2-3
Streitjahr(e)
2011, 2012, 2013
Tatbestand
Die Klägerin hielt sich zunächst unter dem Nachnamen A (geboren 13.08. 1966 in …) als irakische Staatsangehörige in Deutschland auf. Später stellte sich heraus, dass sie tatsächlich den Nachnamen B trägt (geboren 13.08.1965 in …) und libanesische Staatsangehörige ist. Ihre Personendaten wurden im April 2011 entsprechend im Melderegister geändert. Die Klägerin war bis September 2009 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG); anschließend verfügte sie über Fiktionsbescheinigungen gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG, und zwar gültig bis 20.12.2010 bzw. bis 30.06.2011.
Im November 2010 beantragte sie bei der Familienkasse Kindergeld für ihre Kinder 1 (geboren 1990), 2 (geboren 1992), 3 (geboren 1997) und 4 (geboren 2001). Die Familienkasse setzte nach Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen Kindergeld antragsgemäß ab Oktober 2010 fest (Bescheid vom 3.02.2011). Später legte die Klägerin weitere Fiktionsbescheinigungen, gültig bis 02.01.2012, vor, worauf die Familienkasse weiter Kindergeld gewährte. Im Februar 2013 legte die Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG vor, die unter dem Ausstellungsdatum 25.11.2011 zunächst bis 24.11.2012 gültig und bis 18.11.2014 verlängert war. Diesen Aufenthaltstitel hatte sie der Familienkasse auch bereits per Telefax am 19.12.2011 „zur Kenntnisnahme” übersandt [Bl. 95 der Kg-Akte]. Die Familienkasse, die Kindergeldzahlungen vorher ab Dezember 2012 zurückgehalten hatte, gewährte daraufhin weiter Kindergeld. In der Folgezeit kam es zur Aufhebung einzelner Kindergeldfestsetzungen, z. B. für 1 (Bescheid vom 19.04.2013), wobei später (weil 1 ein Freiwilliges Soziales Jahr leistete) der Aufhebungsbescheid im Einspruchsverfahren aufgehoben und erneut Kindergeld festgesetzt wurde (Abhilfebescheid vom 23.05.2013). Weitere Festsetzungsbescheide ergingen am 26.06.2013 und am 27.09.2013.
Bei einer Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen fragte die Familienkasse erstmals im Dezember 2014 und Januar 2015 nach, ob die Klägerin in Deutschland erwerbstätig (gewesen) sei und wies darauf hin, dass die Klägerin „nach den vorliegenden Unterlagen” nicht mehr die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für den Kindergeldbezug erfülle. Die Klägerin wies nach, dass sie weiterhin [Nachweis über frühere Leistungen ab September 2010 befindet sich in der Kindergeldakte] Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II beziehe, wobei das Kindergeld zum überwiegenden Teil mindernd auf die SGB II - Leistungen angerechnet wurde. Daraufhin hob die Familienkasse die Kindergeldgewährung gegenüber der Klägerin rückwirkend ab November 2011 auf und forderte für November 2011 bis November 2014 gewährtes Kindergeld in Höhe von 28.601 € von der Klägerin zurück (Bescheid vom 21.01.2015), unter Hinweis auf die fehlenden Anspruchsvoraussetzungen des § 62 Abs. 2 EStG. Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin hiergegen Klage (Az. 16 K 990/15 Kg). Im Klageverfahren half die Familienkasse in Anlehnung an den Senatsbeschluss vom 11.12.2015 (Az. 16 K 990/15 Kg, AO (PKH)) dem Klagebegehren teilweise ab und beließ der Klägerin das Kindergeld für die Monate November 2011 sowie März 2013 bis November 2014 (Änderungsbescheid vom 15.03.2016). Nach Beendigung des Klageverfahrens (Hauptsache-Erledigung im Termin vom 11.05.2016) verblieb ein Rückzahlungsbetrag (für die Monate Dezember 2011 bis Februar 2013) in Höhe von 11.595 €.
Die Klägerin hatte bereits im Dezember 2015 den Erlass des verbleibenden Rückforderungsbetrages aus Billigkeitsgründen beantragt. Sie erklärte, sie habe im entsprechenden Zeitraum durchgehend um das Kindergeld gekürzte ALG-II-Leistungen bezogen (Bescheide wurden vorgelegt), die nachträglich nicht um den Rückforderungsbetrag erhöht würden.
Die Familienkasse gewährte einen Teilerlass der Rückforderung in Höhe von 589 € (entspricht der nachgewiesenen Kindergeldanrechnung auf ALG-II-Leistungen für Dezember 2011), weil auch bei rechtzeitiger Vorlage des geänderten Aufenthaltstitels vom 25.11.2011 eine Überzahlung für den ersten Monat wohl nicht vermeidbar gewesen wäre (vgl. V 25.2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 DA-K...