Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch eines im Inland wohnhaften, selbständig tätigen portugiesischen Staatsangehörigen – Berechtigung bei Zugehörigkeit des Kindes zum Haushalt der Kindesmutter in Portugal – Bedeutung der Fiktion des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 EGV Nr. 987/2009
Leitsatz (redaktionell)
- Ein in Deutschland wohnhafter und selbständig tätiger portugiesischer Staatsangehöriger hat für sein bei der Kindesmutter in Portugal lebendes Kind Anspruch auf Kindergeld, wenn der Kindesmutter in Portugal keine vergleichbaren Familienleistungen gewährt werden und deshalb eine Kollision i.S.d. des Art.68 EGV Nr. 883/2004 mit dem deutschen Kindergeldanspruch nicht besteht.
- Dem Anspruch des Vaters steht die Zugehörigkeit des Kindes zum Haushalt der in Portugal lebenden Kindesmutter nicht entgegen, da diese selbst die Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 62 Abs. 1 EStG nicht erfüllt und daher keine i. S. des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG anspruchsberechtigte Person sein kann.
- Art. 60 Abs. 1 Satz 2 EGV Nr. 987/2009 bezweckt nicht, den Kindergeldanspruch eines im Inland wohnhaften Erwerbstätigen unter Hinweis auf die Zugehörigkeit des Kindes zum Haushalt eines nicht im EU-Ausland wohnenden Familienangehörigen zu schmälern oder gänzlich ausschließen..
Normenkette
EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1, § 64 Abs. 2 S. 1; EGV Nr. 883/2004 Art. 11 Abs. 1, 3 Buchst. c, Art. 68 Abs. 1-2; EGV Nr. 987/2009 Art. 60 Abs. 1 S. 2
Tatbestand
Der Kläger ist der Vater des Kindes „B”, geb. am „...” , das seit der Scheidung der Eltern bei seiner Mutter in Portugal – unter dem Kläger nicht bekannter Anschrift - lebt.
Mit Bescheid vom 11. Februar 2011 hatte die Beklagte dem Kläger für „B” Kindergeld rückwirkend ab Dezember 2009 gewährt. Diese Festsetzung hob die Beklagte indes mit Bescheid vom 30. August 2011 wieder auf und forderte die Rückzahlung der für Mai 2010 bis August 2011 geleisteten Beträge von insgesamt 2.944 EUR. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies sie mit Einspruchsentscheidung vom 15. Dezember 2011 als unbegründet zurück; aufgrund der Haushaltsaufnahme in Portugal sei die Kindesmutter die nach § 64 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes –EStG- vorrangige Kindergeldberechtigte.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Klage und macht geltend, das Kindergeld über die Bundeskasse in „U-Stadt” an die Kindesmutter weitergeleitet zu haben.
Der Kläger beantragt,
den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 30. August 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. Dezember 2011 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, ein Verzicht auf den Rückforderungsanspruch käme allenfalls in einem (gesondert zu führenden) Billigkeitsverfahren in Betracht und setze zudem die Vorlage einer sog. Weiterleitungserklärung der Kindesmutter voraus.
Der zwischenzeitlich zuständig gewordene Senat hat die Beteiligten mit Verfügung vom 4. Januar 2013 darauf hingewiesen, dass auf der Grundlage der seit Mai 2010 geltenden EU-Regelungen die Haushaltsaufnahme des Kindes in Portugal kindergeldrechtlich unschädlich sein dürfte.
Wegen der Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Klagevorbringen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der dem Gericht vorgelegten Kindergeldakte Bezug genommen.
Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO-).
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO; dem Kläger steht für seinen Sohn auch ab Mai 2010 das Kindergeld weiterhin zu.
Der Kläger hat einen Wohnsitz im Inland (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG); das Kind hat einen Wohnsitz in Portugal, also in einem Mitgliedstaat der EU (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG). Der Sohn ist auch berücksichtigungsfähig i. S. des § 32 EStG; er hat noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet (§ 32 Abs. 3 EStG).
Für den Kläger ist ausschließlich deutsches Recht anzuwenden (vgl. Art. 11 Abs. 1, 3 Buchst. c der EU-Verordnung (EG) Nr. 883/2004 vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (EU-VO Nr. 883/2004), denn er hat in Deutschland Arbeitslosenunterstützung bezogen. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
Soweit die Beklagte der Ansicht ist, dass dem Kläger der Anspruch auf Bewilligung von Kindergeld nicht (mehr) zustehe, weil sein Sohn im Haushalt der Kindesmutter in Portugal lebe und allenfalls diese einen Anspruch auf Gewährung von Kindergeld habe, folgt der Senat dem nicht.
Eine Anspruchskonkurrenz nach Art. 68 EG-VO Nr. 883/2004 ist vom Kläger bestritten und weder von der Beklagten vorgetragen noch sonst ersichtlich; dem durch die Arbeitslosenunterstützung des Klägers ausgelösten Anspruch steht kein Anspruch der Kindesmutter auf Familienleistungen gegenüber.
Auch auf § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG kann sich die Beklagte zur Begründung ihrer Rechtsauffassung nicht stützen. Diese Regelung, nach der bei mehreren Berechtigten das Kindergeld an den Haushaltsau...