Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeldanspruch eines polnischen Staatsbürgers – Anwendbarkeit der VO (EWG) 1408/71 bei ausschließlicher Sozialversicherungspflicht in Polen – Anspruchsausschluss bei Kindergeldbezug in Polen

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Ein in Deutschland zeitweise tätiger und unbeschränkt steuerpflichtiger polnischer Arbeitnehmer mit Familienwohnsitz in Polen, der ausschließlich in Polen sozialversichert ist und polnische Familienleistungen bezieht, hat unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit der VO (EWG) 1408/71 nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG keinen Anspruch auf deutsches Kindergeld.
  2. Die Familienleistungen in Polen sind ungeachtet ihrer erheblich geringeren Höhe mit den deutschen Kindergeldansprüchen vergleichbar i. S. von § 65 EStG.
  3. Der Regelung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG verstößt weder gegen gemeinschaftsrechtliche noch gegen verfassungsrechtliche Vorschriften.
  4. Ein Anspruch auf hälftiges Teilkindergeld ließe sich allenfalls im Wege der Analogie aus Artikel 12 Abs. 2 der VO (EWG) Nr. 1408/71 i. V. m. Artikel 7 Abs. 1 der DVO Nr. 574/72 herleiten, wenn aufgrund des Zusammentreffens von Leistungsansprüchen verschiedener EU-Staaten eine Leistungskürzung oder ein Leistungsausschluss in beiden Staaten einträte.
 

Normenkette

EStG § 1 Abs. 3, §§ 31, 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, § 63 Abs. 1 S. 3, § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; VO (EWG) Nr. 1408/71 Art. 1 Buchst. a, Art. 2, 4 Abs. 1 Buchst. h; VO (EWG) Nr. 1408/71 Art. 12 Abs. 2; VO (EWG) Nr. 1408/71 Art. 13 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Buchst. a; VO (EWG) Nr. 1408/71 Art. 73; VO (EWG) Nr. 574/72 Art. 7 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 18.02.2014; Aktenzeichen III R 26/13)

BFH (Beschluss vom 18.02.2014; Aktenzeichen III R 26/13)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Kindergeld für die in Polen bei der Kindesmutter lebenden Kinder „A” (geb. 10.12.1988), „B” (geb. 08.01.1990), „C” (geb. 13.11.1991) und „D” (geb. 16.04.2003). Der Kläger war vom 29.06.2008 bis 31.12.2008 im Inland beschäftigt, unterlag indes der polnischen Sozialversicherung. Die Kindesmutter, selbst nicht erwerbstätig, bezog polnische Familienleistungen von monatlich insgesamt 68 EUR. Die volljährigen Kinder befanden sich im Jahr 2008 unstreitig in der Ausbildung; „A” bezog daneben Arbeitslohn von brutto 3.600 EUR. Ausweislich einer Arbeitgeber- sowie der Lohnsteuerbescheinigung ist der Kläger seit 29.06.2008 im Inland beschäftigt. Zudem legte er den Einkommensteuerbescheid 2008 des Finanzamts vor (Zusammenveranlagung der Eheleute).

Den Antrag auf Bewilligung von Kindergeld für den Zeitraum Januar bis Dezember 2008 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29.10.2010 ab, weil der Kläger der polnischen Sozialversicherung unterliege. Mit den Einspruch als unbegründet zurückweisender Einspruchsentscheidung vom 28.06.2012 ergänzte sie, es fehle an einem Nachweis zur unbeschränkten Einkommensteuerpflicht des Klägers bzw. zu den Anspruchsvoraussetzungen des § 62 des EinkommensteuergesetzesEStG-.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 29.10.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.06.2012 die Beklagte zu verpflichten, ihm Kindergeld für die Kinder „A”, „B”, „C” und „D” für den Zeitraum Januar bis Dezember 2008 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Klage abzuweisen;

eine Stellungnahme im Klageverfahren ist ausgeblieben.

Hinsichtlich der Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Klagevorbringen der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der dem Gericht vorgelegten Steuerakten des Finanzamts sowie der Kindergeldakten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Die angefochtene Ablehnung der Kindergeldfestsetzung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO).

Der Kläger ist zwar jedenfalls in den Monaten Juni bis Dezember 2008 anspruchsberechtigt nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG. Nach dieser Vorschrift hat Anspruch auf Kindergeld, wer zwar keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, aber nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird. Eine derartige Behandlung hat der Kläger hier mit Vorlage des Einkommensteuerbescheides 2008 nachgewiesen; die beigezogenen Akten des Finanzamt haben diesen Umstand bestätigt. Die unbeschränkte Steuerpflicht entsteht nach § 1 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz EStG indes nur, soweit inländische Einkünfte i. S. des § 49 EStG vorliegen, wobei die Konjunktion „soweit” sowohl konditionale Bedeutung hat als auch ein zeitliches Moment beinhaltet mit der Folge, dass die inländischen Einkünfte den Beginn und das Ende der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG markieren (Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH- vom 24.10.2012 V R 43/11, BFH/NV 2013, 448). Entsprechend reduziert sich auch die hier geltend gemachte Kindergeldberechtigung auf den Zeitraum Juni bis Dezember 2008, da der Kläger unstreitig erstmals seit 29.06.2008 bei dem inländischen Arbeitgeber beschäftig...

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