vorläufig nicht rechtskräftig
Revision zugelassen durch das FG
Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhinderung der Zinsentstehung durch Schätzung der festzustellenden Besteuerungsgrundlagen. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: X R 12/21)
Leitsatz (redaktionell)
- Der Grund der verzögerten Steuerfestsetzung und etwaige Verschuldensfragen rechtfertigen auch bei auf Grundlagenbescheiden beruhenden Änderungs-festsetzungen keinen Erlass von Zinsen zur Einkommensteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen.
- Dies gilt auch, wenn die in einem Grundlagenbescheid festzustellenden Besteuerungsgrundlagen wegen der ungeklärten Erbenstellung des Rechtsnachfolgers und des deshalb fehlenden Zugriffs auf die Nachlassgegenstände nicht bereits vorab im Schätzungswege angegeben werden können, um so die Zinsentstehung aufgrund einer erst viele Jahre nach Ende des Veranlagungszeitraums erfolgenden Änderung des Folgebescheids zu verhindern.
Normenkette
AO § 155 Abs. 2, § 162 Abs. 5, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, §§ 227, 233a Abs. 2, 2a
Streitjahr(e)
2012, 2013, 2014, 2015, 2016, 2017
Tatbestand
Der Kläger begehrt den Erlass von Zinsen zur Einkommensteuer 2012 bis 2017 i.H.v. insgesamt 33.752 €.
Der Kläger ist Erbe zu 1/2 nach dem am 6.10.2012 verstorbenen Erblasser E. Der Erblasser hinterließ verschiedene Testamente. Nach seinem Tod kam es zu Streitigkeiten um die Erbfolge und insbesondere um die Frage, ob der Erblasser bei Abfassung der jeweiligen letztwilligen Verfügungen testierfähig gewesen war. Am 28.8.2018 wurde schließlich ein Erbschein erteilt, der den Kläger - neben zwei weiteren Erben - als Erbe zu 1/2 auswies.
Unter dem 9.8.2019 ergingen für die Jahre 2012 bis 2017 sodann Feststellungsbescheide für die Erbengemeinschaft, in denen dem Kläger Einkünfte aus Gewerbebetrieb, aus Vermietung und Verpachtung sowie Kapitaleinkünfte zugerechnet wurden. Der Beklagte erließ am 28.10.2019 geänderte Einkommensteuerbescheide, in denen u.a. Zinsen nach § 233a der Abgabenordnung (AO) in folgender Höhe festgesetzt wurden (jeweils in EUR):
2012 |
21.071 |
2013 |
15.221 |
2014 |
- 1.419 |
2015 |
- 644 |
2016 |
- 300 |
2017 |
- 177 |
Summe |
33.752 |
Der Kläger beantragte unter dem 2.12.2019 den Erlass des Gesamtbetrags der Zinsen i.H.v. 33.752 € aus sachlichen Billigkeitsgründen. Zur Begründung führte er an, bis in das Jahr 2019 sei nicht klar gewesen, wer an der Erbengemeinschaft beteiligt sei und wem welche Einkünfte zuzurechnen seien. Ihn treffe an dieser Verzögerung keine Schuld; er habe stets versucht, alles zur Aufklärung des Sachverhalts beizutragen.
Der Beklagte lehnte den Erlass mit Bescheid vom 7.1.2020 ab. Die festgesetzten Zinsen seien Gegenleistung für eine mögliche Kapitalnutzung, zumal der Zinsvorteil des Steuerschuldners zugleich einen Zinsnachteil des Steuergläubigers nach sich ziehe. Verschuldensfragen seien auf beiden Seiten irrelevant.
Hiergegen legte der Kläger am 22.1.2020 Einspruch ein. Zur Begründung führte er aus: Der Erblasser habe zu Lebzeiten der Veräußerung zweier Firmengrundstücke zugestimmt. Diese seien über die K- Immobiliengesellschaft mbH, ..., gelaufen. Die Veräußerungsgewinne seien in den Jahren 2012 und 2013 entstanden und versteuert worden, hätten aber über Jahre keinem Erben zugeordnet werden können. Erst mit Erbschein vom 28.8.2018 seien drei Erben - darunter er, der Kläger, als Erbe zu 1/2 - festgestellt worden. Die Testamentsvollstreckung sei Herrn Rechtsanwalt R aus X-Stadt übertragen worden. Von Steuerschulden sei aber nicht die Rede gewesen. Er habe erst im Herbst 2019 von einem anderen Erben erfahren, dass Steuerrückstände in großer Höhe auf sie zukommen würden. Er habe seinen Steuerberater um eine Einschätzung gebeten und aufgrund von dessen Berechnungen am 24.10.2019 - vor Ergehen eines Steuerbescheids - etwa 170.000 € überwiesen. Die Bescheide vom 28.10.2019 hätten ihn erst nach der Überweisung erreicht. Er habe keine Möglichkeit gehabt, die Steuern früher auszugleichen. Es seien auch keine Gewinne eingefahren worden, denn der Nachlassverwalter habe aus Risikogründen keine Geldanlagen tätigen dürfen.
Mit Einspruchsentscheidung vom 25.8.2020 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Er führte aus: Die reine Möglichkeit der Kapitalnutzung bzw. die bloße Verfügbarkeit eines bestimmten Kapitalbetrages reiche zur Festsetzung der Zinsen aus. Die Tatsache, dass den Kläger an der verspäteten Festsetzung der Einkommensteuer keine Schuld treffe, sei unerheblich. Auch die Vorabzahlung des Klägers ändere an der Zinsfestsetzung nichts, da diese nur wenige Tage vor Ergehen der Steuerbescheide erfolgt sei und sich somit kein Zeitraum von mindestens einem Monat ergebe, für den nach Nr. 70.1.2 des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung zu § 233a fiktive Erstattungszinsen zu ermitteln wären.
Der Kläger hat am 25.9.2020 Klage erhoben. Er macht u.a. geltend, er habe wegen der zuvor ungeklärten Erbenstellung frühestens ab dem 28.8.2018 - dem Datum des Erbscheins - die Möglichkeit der Kapitalnutzung gehabt. Eine erste Zahlung...