Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Anwendung der Kleinunternehmerbesteuerung bei Neugründung eines Unternehmens

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Nach Sinn und Zweck der Kleinunternehmerregelung des § 19 Abs. 1 UStG ist bei Neugründung eines Unternehmens auf den voraussichtlichen Umsatz des laufenden Kalenderjahres abzustellen, der 17.500 EUR nicht überschreiten darf.
  2. Voraussetzung für die Bindung des neugründenden Unternehmers an die von ihm erklärte, diesen Grenzbetrag überschreitende Umsatzprognose ist, dass dieser realistische Erwartungen zugrunde lagen.
  3. Ob dies der Fall ist, kann im Rahmen der Umsatzsteuerjahresveranlagung rückwirkend anhand objektiver Anhaltspunkte überprüft werden.
 

Normenkette

UStG § 19 Abs. 1

 

Streitjahr(e)

2006, 2007

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Anwendung der Kleinunternehmerbesteuerung nach § 19 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes UStG.

Der Kläger eröffnete zum 2.1.2006 einen Gewerbebetrieb zum Handel und zur Reparatur von Unterhaltungselektronik. Im Fragebogen zur steuerlichen Erfassung schätzte er den Gesamtumsatz seines Unternehmens im Jahr 2006 auf 45.000 EUR und im Jahr 2007 auf 50.000 EUR. Die Höhe des geschätzten Umsatzes beruhte auf einem vom Prozessbevollmächtigten erstellten Businessplan aus August 2005, den der Kläger hatte erstellen lassen, um von der Bundesagentur für Arbeit die entsprechenden Förderungen für Existenzgründer zu erhalten.

Für das Jahr 2006 gab der Kläger monatliche Umsatzsteuervoranmeldungen ab. Der Jahresumsatz 2006 belief sich tatsächlich auf 11.479 EUR zuzüglich 1.836,64 EUR USt, insgesamt auf 13.315,64 EUR. Aufgrund abziehbarer Vorsteuerbeträge ergab sich eine Umsatzsteuerzahllast von 733,69 EUR. Im Zusammenhang mit der Abgabe seiner Umsatzsteuerjahreserklärung beantragte der Kläger sodann, gemäß § 19 Abs. 1 UStG von der Erhebung der Umsatzsteuer abzusehen, weil der Jahresumsatz 2006 tatsächlich weniger als 17.500 EUR betragen habe und im laufenden Kalenderjahr 2007 voraussichtlich 50.000 EUR nicht übersteigen werde. Zudem habe er, was unstreitig ist, sämtliche Rechnungen ohne offenen Ausweis von Umsatzsteuer erstellt.

Mit Bescheid vom 9.5.2007 setzte das beklagte Finanzamt FA gleichwohl die Umsatzsteuer für 2006 entsprechend der eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen auf 733,69 EUR fest. Den hiergegen gerichteten Einspruch begründete der Kläger dahingehend, dass er auch nachträglich zur Besteuerung als Kleinunternehmer nach § 19 Abs. 1 UStG optieren könne.

Mit Einspruchsentscheidung vom 9.7.2007 wies das FA den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück. Der Kläger habe von Anfang an der Regelbesteuerung unterlegen, weil seinen eigenen Angaben nach der voraussichtliche Umsatz über 17.500 EUR gelegen habe. Grundvoraussetzung für die Kleinunternehmerregelung bei Neugründung sei gemäß Abschn. 246 Abs. 4 der Umsatzsteuerrichtlinien – UStR –, dass der voraussichtliche Umsatz 17.500 EUR nicht übersteige. Eine nachträgliche Änderung der einmal getroffenen Wahl sei nicht möglich. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 9.7.2007 hingewiesen.

Mit seiner hiergegen gerichteten Klage begehrt der Kläger weiterhin, für das Streitjahr 2006 von der Erhebung der Umsatzsteuer gemäß § 19 Abs. 1 UStG abzusehen. Zur Begründung wiederholt er seinen Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren und führt ergänzend aus, dass das Gesetz den Zeitpunkt und die Form der Wahl zum Kleinunternehmer iSv § 19 UStG nicht eindeutig bestimme. Gleiches gelte für die von der Finanzverwaltung in den Richtlinien entwickelten Grundsätze. Bei der Auslegung der Vorschrift sei deren materieller Charakter als Steuerbefreiung zu berücksichtigen, so dass letztlich der Unternehmer im Rahmen seiner Jahressteuererklärung entscheiden müsse, ob er § 19 UStG in Anspruch nehme.

Der Kläger beantragt,

den Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2006 vom 9.5.2007 und die Einspruchsentscheidung vom 9.7.2007 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das FA habe zu Recht Umsatzsteuer für das Jahr 2006 festgesetzt. Der Kläger unterliege der Regelbesteuerung, weil er seiner Auffassung nach voraussichtlich einen Gesamtumsatz von 45.000 EUR erzielen würde. Unter Berücksichtigung von Abschnitt 246 Abs. 4 UStR sei eine andere Beurteilung nicht möglich.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die dem Gericht übersandten Steuerakten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Das FA hat dem Kläger zu Unrecht die Anwendung der Kleinunternehmerregelung des § 19 Abs. 1 UStG versagt. Die Voraussetzungen für die Nichterhebung nach § 19 Abs. 1 UStG liegen vor.

Gemäß § 19 Abs. 1 UStG wird für Umsätze i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG die geschuldete Umsatzsteuer nicht erhoben, wenn der Gesamtumsatz des Vorjahres 17.500 EUR nicht überschritten hat und im laufenden Kalenderjahr 50.000 EUR voraussichtlich nicht übersteigen wird. Die Vorschrift regelt nicht, wie bei Neugründungen von Unternehmen zu verfahren ist. Nach Sinn und Zwec...

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