Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtmäßigkeit der Ablehnung einer Kindergeldfestsetzung
Leitsatz (redaktionell)
- Für die Auslegung eines Bescheides nach Maßgabe des objektiven Verständnishorizonts des Empfängers ist neben dem Tenor auf den materiellen Regelungsgehalt einschließlich der Begründung des Bescheides abzustellen.
- Wird ein im Jahr 2005 ergangener Bescheid, mit dem die Kindergeldfestsetzung mit Wirkung vom 01.01.2004 aufgehoben wird, damit begründet, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag im Kalenderjahr 2004 übersteigen, kann der Adressat den Bescheid dahin gehend verstehen, dass die Behörde die Kindergeldfestsetzung ausschließlich für das Jahr 2004 aufheben will.
- Eine Bindungswirkung des Aufhebungsbescheides bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe kann in diesem Fall nicht angenommen werden.
- Aus der Tatsache, dass der Aufhebungsbescheid trotz des beim BVerfG anhängigen Verfahrens zur Frage der Berücksichtigung der Arbeitnehmer-Sozialversicherungsbeiträge im Rahmen der Grenzbetragsberechnung nicht mit einem Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO versehen wurde, ergibt sich kein Vertrauenstatbestand, der die Berufung auf die eingetretene Bestandskraft treuwidrig erscheinen ließe.
- Die Änderung der Normauslegung in Bezug auf die Grenzbetragsberechnung durch die Entscheidung des BVerfG führt nicht zur Durchbrechung der Bestandskraft eines Aufhebungsbescheids gemäß § 70 Abs. 4 EStG oder §§ 173 Abs.1 Nr. 2, 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 2, § 70 Abs. 4; AO §§ 89, 173 Abs. 1 Nr. 2, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; BGB §§ 133, 157
Streitjahr(e)
2004
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob der Klägerin Kindergeld für ihr Kind B für den Zeitraum Januar 2004 bis April 2005 zu gewähren ist.
Die Klägerin erhielt im Jahre 2004 für ihren Sohn B, geboren am 24.09.1984, Kindergeld in Höhe von insgesamt 1.848 EUR. Mit Bescheid vom 18.04.2005 hob der Beklagte die Kindergeldfestsetzung mit Wirkung vom 01.01.2004 auf und verfügte die Rückzahlung des von der Klägerin im Jahre 2004 bezogenen Kindergeldes. Die laufende Zahlung sei ab dem 01.01.2005 eingestellt worden. Dies begründete der Beklagte damit, dass die Einkünfte des Sohnes den Jahresgrenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) für das Jahr 2004 überschritten hätten. Bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge des Sohnes zog der Beklagte die von B gezahlten Sozialversicherungsbeiträge nicht von seinem Bruttoarbeitslohn ab. Die Klägerin legte keinen Einspruch gegen diesen Bescheid ein.
Mit Urteil vom 11.01.2005 (2BvR 167/02), das am 13.05.2005 veröffentlicht wurde, entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Arbeitnehmerbeiträge eines Kindes zur gesetzlichen Sozialversicherung abweichend von der bisher vorherrschenden Rechtsauffassung nicht in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einzubeziehen seien.
Unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stellte die Klägerin mit Schreiben vom 01.06.2005, eingegangen beim Beklagten am 02.06.2005, einen Antrag auf Rückerstattung des bereits zurückgezahlten Kindergeldes. Werde der Arbeitnehmeranteil zur gesetzlichen Sozialversicherung in Höhe von 2.130 EUR und die Werbungskosten in Höhe von 1.552,20 EUR von dem Bruttolohn (10.238 EUR) ihres Sohnes B abgezogen, sei der Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht überschritten.
Mit Bescheid vom 17.08.2005 lehnte der Beklagte den Antrag teilweise ab. Für den Zeitraum vom 01.01.2004 bis 30.04.2005 könne dem Antrag aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht stattgegeben werden. Mit Bescheid vom 18.04.2005 sei die Festsetzung des Kindergeldes für die Zeit ab 01.01.2004 aufgehoben worden. Die Bestandskraft des Bescheides und damit die Bindungswirkung seien bis einschließlich des Monats seiner Bekanntgabe (April 2005) eingetreten. Einer erneuten Entscheidung stehe die Bestandskraft des Bescheides entgegen. Kindergeld könne erst ab dem 01.05.2005 festgesetzt werden.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 08.09.2005, eingegangen beim Beklagten am 12.09.2005, Einspruch ein.
Zur Begründung des Einspruchs verwies die Klägerin zunächst auf § 48 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz NRW (VwVfG NRW), § 130 Abs. 1 Abgabenordnung (AO), § 2 Abs. 3 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) und § 44 Sozialgesetzbuch X (SGB X). Aus diesen Vorschriften leitete die Klägerin einen Anspruch auf Änderung der Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum 01.01.2004 bis 30.04.2004 her. Hinsichtlich der ausführlichen Begründung wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 08.09.2005 vollinhaltlich verwiesen. Nachdem die Klägerin vom Beklagten darauf hingewiesen worden war, dass diese Vorschriften bei Kindergeldfestsetzungen nicht anwendbar seien, berief sich die Klägerin auf die Korrekturvorschriften § 70 Abs. 4 und 2 EStG sowie § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO. Aus dem Wortlaut ...