vorläufig nicht rechtskräftig
Revision zugelassen durch das FG
Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH [I R 3/07)]
Entscheidungsstichwort (Thema)
Bemessungsgrundlage der Kirchensteuer und Zuständigkeit der Kirchenbehörde
Leitsatz (redaktionell)
- Einwendungen gegen die Berechnung der Kirchensteuer-Bemessungsgrundlage unter Einbeziehung der steuerfreien Halbeinkünfte (§ 51a Abs. 2 EStG) sind nicht durch Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid zu verfolgen, sondern gegen den Kirchensteuerbescheid geltend zu machen.
- Die Bestimmung der Bemessungsgrundlage nach § 51a EStG ist keine selbständig anfechtbare gesonderte Feststellung, sondern eine unselbständige Berechnung ohne bindende Außenwirkung, die zum Aufgabenbereich der Kirche gehört und nicht den Begriff der „Maßstabsteuer” i. S. von § 14 Abs. 6 Satz 1 KiStG erfüllt. Die Finanzbehörde wird insoweit im Auftrag der Kirchenverwaltung tätig.
- Ein von der Finanzbehörde auf einen als Rechtsbehelf gegen den Kirchensteuerbescheid auszulegenden Einspruch durchgeführtes Vorverfahren reicht als Sachentscheidungsvoraussetzung nicht aus, weil der adäquate, vollständige außergerichtliche Rechtsschutz des Steuerpflichtigen nicht sichergestellt ist.
- Beruhen die Verfahrenskosten auf einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung und der Durchführung des falschen Vorverfahrens durch die beklagte Behörde, sind dieser die Kosten des durch Prozessurteil abgeschlossenen Verfahrens aufzuerlegen.
- Für den unterlassenen Einspruch gegen den Kirchensteuerbescheid kann aufgrund der unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung auch noch nach Ablauf der Jahresfrist des § 356 Abs. 2 Satz 1 AO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sein, da der Begriff der höheren Gewalt auch Fälle erfasst, in denen der Steuerpflichtige durch das Verhalten einer Behörde davon abgehalten wird, eine Frist zu wahren.
Normenkette
EStG § 51a; KiStGNW §§ 4, 9, 14; KiStO § 25 Abs. 2 S. 1; AO § 110 Abs. 2, §§ 157, 199 Abs. 1, § 351 Abs. 2, § 356; FGO § 44 Abs. 1, § 137 S. 2
Streitjahr(e)
2003
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger gehört der evangelischen Kirche an; er wird einzeln zur Einkommensteuer veranlagt.
Im Einkommensteuerbescheid 2003 vom 22. Februar 2005 erfasste der Beklagte Kapitaleinnahmen des Klägers, die dem Halbeinkünfteverfahren (vgl. § 3 Nr. 40 des Einkommensteuergesetzes – EStG –) unterliegen, nur zur Hälfte; ein Betrag von 1.245 EUR blieb steuerfrei. Die Kirchensteuer berechnete der Beklagte unter Anwendung des § 51a Abs. 2 EStG wie folgt:
zu versteuerndes Einkommen |
50.841 |
|
zzgl. steuerfreie Halbkünfte |
1.245 |
|
maßgebendes zu versteuerndes Einkommen |
52.086 |
|
darauf entfallende ESt |
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14.752 EUR |
Bemessungsgrundlage |
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14.752 EUR |
Davon 9 v.H. ev. KiSt |
|
1.327,68 EUR |
Die dem Bescheid beigefügte programmgesteuerte Rechtsbehelfsbelehrung lautet (auszugsweise) wie folgt: „Gegen die Festsetzung der Kirchensteuer ist ebenfalls der Einspruch gegeben. Der Einspruch ist bei dem vorbezeichneten Finanzamt einzureichen, wenn er sich gegen die Höhe der der Festsetzung zugrunde gelegten Bemessungsgrundlage richtet. Ein Einspruch gegen die Festsetzung der Kirchensteuer, der sich auf Gründe stützt, die nicht mit der Berechnung der zugrunde gelegten Bemessungsgrundlage zusammenhängen, ist insoweit bei der zuständigen evangelischen Kirchengemeinde einzureichen.”
Der Kläger legte beim Beklagten unter dem Betreff „Hinzurechnung der steuerfreien Halbeinkünfte bei der Kirchensteuer” Einspruch gegen den „Bescheid für 2003 über Einkommensteuer usw.” ein „wegen Verletzung der Schranken des für alle geltenden Gesetzes betr. Halbeinkünfte durch die Kirchen, die bei der Erhebung der Kirchensteuer autonom handeln. Die Einziehung durch den Staat geschieht aus Kostengründen, s. Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV”. Der Beklagte wies den Einspruch mit Entscheidung vom 29. April 2005 als unbegründet zurück. Die Kirchensteuer sei auf der Grundlage des § 51a Abs. 2 EStG zutreffend berechnet. Die Steuereinziehung durch den Staat verstoße nicht gegen Art. 137 Abs. 3 WRV; die Festsetzung und Erhebung der Kirchensteuer durch die Finanzverwaltung beruhe auf einem entsprechenden Antrag der Kirchen i.S. von § 9 KiStG.
Mit der Klage macht der Kläger geltend, sein Vorbringen werde verdreht und unterdrückt. Es gehe ihm nicht um die Steuererhebung, sondern um die Festsetzung, die hier verfassungswidrig sei. Das Kirchensteuergesetz des Landes Nordrhein-Westfalen – KiStG – privilegiere die Kirchen und sei zwar nicht wegen seines Zustandekommens, aber im Hinblick auf seinen Inhalt verfassungswidrig; der Senat müsse die Sache daher dem Bundesverfassungsgericht vorlegen. Man müsse auch fragen, ob der Staat im autonomen Kirchensteuerrecht „überhaupt Gesetzgebungsrecht habe außer in der Grenzziehung zur Privilegierung, die hier erfolgt sei unter Benutzung der Bestimmung des § 51a EStG, die nur für den Bundesbereich gelte und nicht für eine autonome Länderangelegenhei...