vorläufig nicht rechtskräftig
Revision zugelassen durch das FG
Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch eines in Deutschland ansässigen und selbständig erwerbstätigen polnischen Staatsbürgers – Zugehörigkeit des Kindes zum Haushalt der nicht erwerbstätigen Kindesmutter in Polen
Leitsatz (redaktionell)
- Ein in Deutschland ansässiger und selbständig erwerbstätiger polnischer Staatsbürgers, dessen Kind bei der nicht erwerbstätigen Kindesmutter in Polen lebt, hat Anspruch auf Gewährung deutschen Kindergelds in voller Höhe, ohne dass dem ein etwaiger Anspruch der Kindesmutter auf polnische Familienleistungen vorginge.
- Diesem Anspruch steht die Zugehörigkeit des Kindes zum Haushalt der Kindesmutter in Polen nicht entgegen, da diese selbst die Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 62 Abs. 1 EStG nicht erfüllt und daher keine i. S. des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG anspruchsberechtigte Person sein kann.
- Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr. 988/2009 bezweckt nicht, einen unstreitig bestehenden Kindergeldanspruch dem Anspruchsinhaber unter Hinweis auf die Zugehörigkeit des Kindes zum Haushalt eines im EU-Ausland wohnenden Familienangehörigen zu versagen.
Normenkette
EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 3, § 64 Abs. 1, 2 S. 1; VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 11 Abs. 1; VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 11 Abs. 3 Buchst. a); VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 68 Abs. 2, Art. 68a; VO (EG) Nr. 988/2009 Art. 60 Abs. 1 S. 2
Tatbestand
Der Kläger, ein polnischer Staatsangehöriger, beantragte erstmals im Juli 2007 unter Angabe einer Adresse in „B” bei der Familienkasse Kindergeld für seine Tochter „A” (geboren 2005). Er erklärte, er sei seit Januar 2007 in Deutschland als Bauunternehmer (Trocken- und Akustikbau, Abbrucharbeiten, Parkettleger, Fliesen-, Platten und Mosaikleger u. a.) selbständig tätig. Die Tochter lebe zusammen mit ihrer Mutter, der Lebensgefährtin des Klägers, in Polen in der Familienwohnung. Die Mutter erhalte für „A” laufende polnische Familienleistungen. Die Familienkasse setzte ab Januar 2007 Kindergeld für „A” in Höhe von 139,83 € fest (Bescheid vom 10.06.2008).
Die Familienkasse stellte in der Folgezeit ab Mai 2009 die Auszahlung des Kindergelds ein. Mit Bescheid vom 15.12.2010 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung rückwirkend ab Mai 2009 auf, weil angeforderte Unterlagen (Bescheinigung des Finanzamts über die unbeschränkte Steuerpflicht) nicht vorgelegt worden seien.
Hiergegen erhob der Kläger Einspruch und legte im Mai 2011 eine entsprechende Bescheinigung vor. Er trug vor, er arbeite seit mittlerweile 5 Jahren in Deutschland. Seine Tochter lebe nunmehr seit Februar 2011 bei ihm in „C"; der Kläger teilte seine neue Adresse mit. Durch das Vorenthalten des Kindergelds über einen nunmehr langen Zeitraum fehlten notwendige Gelder für den Unterhalt der Tochter. Die Familienkasse gab die Kindergeldakte im Januar 2012 zuständigkeitshalber an die Familienkasse ab.
Die Familienkasse erließ umgehend einen weiteren Aufhebungsbescheid (vom 9.01.2012) und hob die Kindergeldfestsetzung für die Tochter „A” ab Mai 2010 auf. Zur Begründung wurde ausgeführt, Kindergeld könne nur der Elternteil erhalten, der nach § 64 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorrangig kindergeldberechtigt sei. Dies sei im Streitfall die in Polen lebende Mutter des Kindes, in deren Haushalt „A” lebe. Zugleich kündigte die Familienkasse die Nachzahlung des Kindergelds für Mai 2009 bis April 2010 in Höhe von 1.797,96 € (12 x 149,83 €) an.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger, fachkundig vertreten, Einspruch. Er erklärte, die Familie (Kläger als Kindesvater, Kindesmutter und Tochter) lebe inzwischen gemeinsam in „C”, wo die Tochter auch zur Schule gehe. Der Kläger legte eine Haushaltsbescheinigung vom 15.03.2012 vor, wonach die Tochter sich seit „8.3.12” in „C” aufhält. Weiterhin wurden Bescheinigungen E 401 und E 411 der polnischen Behörde übersandt; hierin wird u. a. bescheinigt, dass die Kindesmutter seit Mai 2010 keine Berufstätigkeit ausgeübt und seit Mai 2010 keine polnischen Familienleistungen beantragt habe, weil sich die Familie nach eigenen Angaben in Deutschland aufhalte. Der Kläger legte dar, dass er bis Juli 2011 in Deutschland als Selbständiger tätig gewesen und seitdem als Arbeitnehmer beschäftigt sei (vgl. Arbeitgeberbescheinigung, Bl. 147 der Kg-Akte). Die Tochter „A” besuchte ausweislich der Kindergartenbescheinigung seit dem 01.02.2011 die Kindertageseinrichtung und seit Sommer 2011 die Grundschule in „C” (vgl. Schulbescheinigung Bl. 153 der Kg-Akte). Außerdem legte der Kläger u. a. Mietverträge über die ab Dezember 2006 angemietete Wohnung in „B” und über die von der Mutter des Klägers bereits seit 2004 angemietete Wohnung in „C” (2-Zimmer, 44 m²) vor, die aktuell von dem Kläger, seiner Mutter, seiner Lebensgefährtin und seiner Tochter bewohnt werde. Im erneuten Kindergeldantrag (Formular KG 51 pl) erklärte die Kindesmutter sich damit einverstanden, dass das Kindergeld an den Kläger gezahlt wird.
Die Familienkasse wies den Einspruch als unbegrün...