vorläufig nicht rechtskräftig

Revision zugelassen durch das FG

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeldanspruch eines im Inland wohnhaften Arbeitnehmers - Berechtigung bei Zugehörigkeit des Kindes zum Haushalt der Kindesmutter in Polen

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Dem Kindergeldanspruch eines in Deutschland lebender Vaters steht die Zugehörigkeit des Kindes zum Haushalt der geschiedenen Ehefrau und Kindesmutter in Polen nicht entgegen.
  2. § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG gilt nur, wenn prinzipiell mehrere Berechtigte den Anspruch auf Bewilligung des Kindergeldes geltend machen könnten.
  3. Durch die Fiktion des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr. 987/2009 werden keine Ansprüche der im EU-Ausland wohnenden Kindesmutter begründet, die den einem im Inland wohnhaften Arbeitnehmer zustehenden Kindergeldanspruch schmälern oder gänzlich ausschließen.
 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1, § 64 Abs. 2 S. 1, Abs. 3; VO (EG) Nr. 987/2009 Art. 60 Abs. 1 S. 2

 

Tatbestand

Streitig ist die Frage, ob der Kläger Anspruch auf deutsches Kindergeld hat.

Er ist deutscher Staatsbürger, lebt seit Juli 2003 in der BRD und ist seit 2008 arbeitslos. Derzeit erhält er nach den Regelungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch Leistungen zum Lebensunterhalt. Seine erste (von ihm geschiedene) Ehefrau lebt zusammen mit der gemeinsamen Tochter (geb. 1991) in Polen.

Ursprünglich hatte die Beklagte Differenzkindergeld festgesetzt (Bescheid vom 23.6. 2006). Dabei war sie davon ausgegangen, dass auch der geschiedenen Ehefrau des Klägers in Polen ein Anspruch auf Familienleistungen zustehe, der wiederum auf den im Inland bestehenden Anspruch des Klägers anzurechnen sei.

Mit Schreiben vom 5.7.2010 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er möglicherweise zu Unrecht Kindergeld erhalten habe, und zwar für den Zeitraum ab März 2009. Er habe nämlich einige bereits Anfang April 2010 angeforderte Unterlagen (Fragebogen zur Überprüfung des Anspruchs auf Bewilligung von Kindergeld, Familienstandsbescheinigung „E 401”) nicht eingereicht.

Daraufhin übermittelte der Kläger der Beklagten im August 2010 den nur teilweise ausgefüllten Fragebogen zur Überprüfung des Kindergeldes. Nach Aktenlage wurde das Formular jedoch nach den Angaben des Klägers ergänzt. Danach hatte die Tochter im Juni 2010 die Schulausbildung mit dem Abitur abgeschlossen und sollte im Oktober 2010 mit einem Studium beginnen. Für Studienzeiten, so die Angaben des Klägers, werde in Polen kein Kindergeld bewilligt.

Zu den persönlichen Verhältnissen seiner geschiedenen Ehefrau in Polen gab der Kläger an, dass diese in Polen in einem Krankenhaus nichtselbständig tätig sei.

Unabhängig von diesen Informationen hob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes auf, und zwar ab Mai 2010 (Bescheid vom 19.10.2010). Zur Begründung führte sie aus, dass sich das für den Streitfall bedeutsame EU-Recht geändert habe. Nach Aktenlage sei der Kläger geschieden und die gemeinsame Tochter lebe bei der Kindesmutter in Polen. In einem solchen Fall bestehe im Inland kein Anspruch mehr auf Bewilligung von Kindergeld.

Den Einspruch des Klägers wies die Beklagte unter dem 23.5.2011 als unbegründet zurück. Dazu führte sie aus:

Es sei richtig, dass der Kläger die in § 62 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) enthaltenen Voraussetzungen zur Bewilligung von Kindergeld für seine Tochter erfülle. Gleichzeitig bestehe aber für die Tochter ein vergleichbarer Anspruch in einem anderen Staat der Europäischen Union (EU), nämlich in Polen. Diese Fallgestaltung werde von der insoweit maßgeblichen EU-Verordnung (EG) Nr. 883/2004 vom 29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (EU-VO Nr. 883/2004) und der hierzu ergangenen Verordnung vom 16.9.2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der EU-VO Nr. 883/2004 (DVO Nr. 987/2009) geregelt.

Konkret seien die Bestimmungen der Art. 67 und 68 EU-VO Nr. 883/2004 anzuwenden. Danach sei in Fällen, in denen nach den Rechtsvorschriften mehrerer EU-Staaten Familienleistungen zu gewähren seien und in diesen Staaten jeweils auch eine Erwerbstätigkeit ausgeübt werde, vorrangig derjenige Staat zur Bewilligung des Kindergeldes zuständig, in dem sich der Wohnort des Kindes befinde. Der Anspruch auf Bewilligung von Kindergeld im Inland werde dagegen ausgesetzt. Daher könnten im Inland allenfalls Unterschiedsbeträge zwischen einem eventuell niedrigeren ausländischen Kindergeld und dem (höheren) deutschen Kindergeld ausgezahlt werden.

Im Streitfall könne aber auch ein derartiger Unterschiedsbetrag nicht festgesetzt werden, weil der vorrangige Leistungsanspruch (im Ausland) durch den Wohnort bestimmt werde (Art. 68 Abs. 2 EU-VO Nr. 883/2004).

Außerdem richte sich die Zahlung von Differenzbeträgen zwischen der Familienleistung in Polen und einem höheren deutschen Kindergeld nach § 64 EStG. Danach werde für jedes Kind nur einer Person Kindergeld gezahlt (§ 64 Abs. 1 EStG). Bei mehreren Berechtigten werde das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen habe (§ 64...

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