Entscheidungsstichwort (Thema)
Schenkungsteuer: Bewertung eines zinslosen Darlehens – Verfassungsmäßigkeit der Anwendung des Regelzinssatzes von 5,5 % – Begrenzung des Jahreswerts des Nutzungsvorteils
Leitsatz (redaktionell)
- Die Rechtmäßigkeit der Bemessung des schenkungsteuerlichen Jahreswerts eines im April 2017 begebenen zinslosen Darlehens unter Anwendung des Regelzinssatzes von 5,5 % unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Zweifeln.
- Der so ermittelte Jahreswert des Nutzungsvorteils ist nach § 16 BewG zu begrenzen, indem die Darlehenssumme durch 18,6 geteilt wird.
Normenkette
ErbStG § 1 Nr. 2, § 7 Abs. 1 Nr. 1, § 12 Abs. 1; BewG § 13 Abs. 2 Hs. 2, § 15 Abs. 1, § 16
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die schenkungsteuerliche Behandlung eines zinslosen Darlehens.
Mit Bericht vom 23.1.2020 teilte das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung X dem Beklagten mit, dass Herr A , ein guter Freund des Klägers, diesem ein zinsloses Darlehen von 110.000 € zur Verfügung gestellt habe. Die Auszahlung sei spätestens am 13.4.2017 erfolgt, da ausweislich des Darlehensvertrages mit der Unterschrift der Erhalt des Betrages bestätigt werde. Der Kläger sei im Zeitpunkt des Vertragsschlusses Student und erwerbslos gewesen. Er habe nach seinen Angaben BAföG bezogen und verfüge über keine weiteren Vermögensgegenstände.
Der Beklagte forderte den Kläger mit Schreiben vom 27.2.2020 und vom 11.5.2020 zur Abgabe einer Schenkungsteuererklärung auf. Mit am 26.5.2020 eingegangenem Schreiben teilte der Kläger mit, dass er seiner Meinung nach nicht zur Erklärungsabgabe verpflichtet sei. A sei ein Freund der Familie; seine, des Klägers, Großmutter habe für die Schulden gebürgt. Er selber sei nicht einmal ansatzweise in der Lage, für seine Schulden aufzukommen. Seine Großmutter sei damit zur Schuldnerin geworden und das geschenkte Geld liege insoweit unter dem Freibetrag.
Der Beklagte trat dieser Argumentation entgegen und forderte unter dem 28.5.2020 erneut die Schenkungsteuererklärung an. Mit Schreiben vom 9.6.2020 beantragte der Kläger, die Anforderung auszusetzen und das Verfahren ruhen zu lassen, bis das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) über die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Zinshöhe von 5,5 % p.a. entschieden habe. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe für die Jahre ab 2015 und ab 2012 Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Zinshöhe geäußert (Hinweis auf Beschluss vom 25.4.2018 - IX B 21/18 und Beschluss vom 2.9.2018 - VII B 15/18). Nach dem Beschluss des Finanzgerichts (FG) Hamburg vom 31.1.2019 bestünden verfassungsrechtliche Bedenken nicht nur im Zusammenhang mit Nachzahlungszinsen, sondern generell in Fällen der Besteuerung, soweit vom gesetzlichen Zinssatz von 5,5 % ausgegangen werde, also z.B. auch bei § 6 Abs. 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes. Im Übrigen sei der Wert der Zinslosigkeit nur dann mit einem Zinssatz von 5,5 % zu bewerten, wenn kein anderer Wert feststehe (Hinweis auf BFH, Urteil vom 27.10.2010 - II R 27/09). Ein solcher anderer Wert ergebe sich dadurch, dass - wie das FG Hamburg ausgeführt habe - in einer anhaltenden Niedrigzinsphase der typisierte Zinssatz von 5,5 % pro Jahr den Bezug zum langfristigen Zinsniveau verloren habe.
Den Antrag, die Aufforderung zur Erklärungsabgabe auszusetzen und das Verfahren ruhen zu lassen, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 15.6.2020 ab. Mit Schenkungsteuerbescheid vom 16.6.2020 schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen nach § 162 der Abgabenordnung (AO) und setzte die Schenkungsteuer gegen den Kläger auf 10.860 € fest. Dabei ging er von einem Zinsvorteil von 56.265 € (110.000 € x 5,5 % x 9,3) aus.
Hiergegen legte der Kläger am 15.7.2020 Einspruch ein. Er wiederholte seine bisherige Argumentation und führte ergänzend aus, nach dem BFH-Urteil vom 27.11.2013 (II R 25/12) sei ein niedrigerer Zinssatz anzusetzen, wenn der Steuerpflichtige nachweise, dass der marktübliche Zinssatz für eine gleichartige Kapitalanlage unter 5,5 % pro Jahr liege. Der marktübliche Zinssatz liege nach den Veröffentlichungen der Deutschen Bundesbank und der Europäischen Zentralbank zwischen negativ und 0,5 %. Daher ergebe sich ein Jahreswert des Zinsvorteils von 110.000 € x 0,5 % = 550 €. Nach Anwendung eines Vervielfältigers von 12,824 betrage der Wert des Zinsvorteils insgesamt 7.053 € und liege daher unter dem Freibetrag von 20.000 €. Der angefochtene Bescheid sei aufzuheben.
Mit Schreiben vom 21.8.2020 teilte der Beklagte mit, er sei weiterhin der Meinung, dass die angeführten anhängigen Verfahren sich auf den Zinssatz nach § 238 AO und § 233a AO bezögen und nicht auf die Zinsberechnung nach dem Bewertungsgesetz (BewG) anzuwenden seien. Zum Nachweis eines niedrigeren Zinssatzes sei ein Dokument einzureichen, welches belege, dass der Kläger trotz seiner Erwerbslosigkeit die gleiche Darlehenssumme ohne jegliche Sicherheiten bei gleicher Laufzeit zu marktüblichen Konditionen von einer Bank zur Verfügung gestellt bekommen hätte.
Mit Einspruchsentscheidung vom 8.1.2021 wies der Beklagte...