vorläufig nicht rechtskräftig
Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH [III R 14/20)]
Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld - Zum Anspruch auf deutsches Kindergeld für einen in Deutschland lebenden polnischen Kläger für sein in Polen lebendes Kind
Leitsatz (redaktionell)
1. Der nach deutschem Recht lediglich aufgrund des inländischen Wohnsitzes bestehende Anspruch auf Kindergeld eines nicht mehr erwerbstätigen und seither Krankengeld beziehenden polnischen Staatsangehörigen für sein in Polen im Haushalt der Mutter lebendes Kind wird nach den Konkurrenzregeln der VO 883/2004 auch dann verdrängt, wenn er sich darauf beruft, seine Erwerbstätigkeit zu einem künftigen Zeitpunkt wieder aufnehmen zu wollen.
2. Von einer Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit i.S.d. Art. 68 Abs. 1 Buchst. b) i) der VO 883/2004 ist nur bei Personen auszugehen, die aufgrund oder infolge ihrer tatsächlichen Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen.
3. Dies gilt nicht im Falle von Krankengeldleistungen, die eine Behandlung von unbegrenzter Dauer abdecken.
Normenkette
EGV 883/2004 Art. 11 Abs. 2, Art. 68 Abs. 1 Buchst. b) i), Abs. 1 Buchst. b) ii), Abs. 2 S. 3
Nachgehend
Gründe
Mit Bescheid vom 25.10.2017 lehnte die Beklagte das Kindergeld für die Tochter des Klägers (T, geb. 08.10.1999) ab August 2017 ab. Da der Kläger seither keine Berufstätigkeit mehr ausübe, werde ein etwaiger Kindergeldanspruch des Klägers - sofern er überhaupt über einen inländischen Wohnsitz verfüge - durch den vorrangigen Anspruch der Kindesmutter (wohnhaft in Polen, gemeinsam mit dem Kind) verdrängt.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsentscheidung vom 15.01.2018) verfolgt der Kläger sein Begehren mit der Klage weiter.
Nach weiteren im Klageverfahren eingereichten Unterlagen hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung einen inländischen Wohnsitz unstreitig gestellt.
Der Kläger verweist darauf, seit seinem Unfall im Juli 2017 (Beinfraktur) sein Gewerbe nicht ausüben zu können und stattdessen Krankengeld zu beziehen - und zwar bis heute. Aber diese nur vorübergehende Unterbrechung sei nicht maßgebend; entscheidend sei seine Absicht, die Berufstätigkeit baldmöglichst wieder aufzunehmen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 25.10.2017 und der Einspruchsentscheidung vom 15.01.2018 zu verurteilen, für die Tochter T Kindergeld ab August 2017 festzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte wendet ein, vorrangig sei Polen zuständig, weil sowohl der Kläger (mangels Berufsausübung) als auch die (ebenfalls nicht berufstätige) Kindesmutter den Kindergeldanspruch nur aufgrund ihrer jeweiligen Wohnsitze begründet hätten und das Kind im Haushalt der Mutter lebe. Auch ein etwaiger Unterschiedsbetrag zum polnischen Kindergeld komme nicht in Betracht.
Die Klage ist unbegründet.
Der Beklagte ist zur Festsetzung von Kindergeld nicht verpflichtet, vgl. § 101 der Finanzgerichtsordnung -FGO-; das Kindergeld steht dem Kläger nicht zu.
Zur weiteren Begründung, insbesondere den hier einschlägigen Rechtsgrundlagen, wird zunächst auf die zutreffenden Gründe der Einspruchsentscheidung Bezug genommen, § 105 Abs. 5 FGO. Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
Gemäß Art. 68 Abs. 1 Buchst. b) ii der VO (EG) Nr. 883/2004 ist bei Familienleistungen, die durch den Wohnort ausgelöst werden, der Wohnort des Kindes maßgebend. Nach Art. 68 Abs. 2 Satz 3 der VO (EG) Nr. 883/2004 muss - in den Fällen der Auslösung des Anspruchs durch den Wohnort - für in einem anderen Mitgliedstaat wohnende Kinder auch kein Unterschiedsbetrag gewährt werden. Ebenso ist unerheblich, ob die Kindesmutter in Polen ihrerseits einen Kindergeldantrag gestellt hat (Urteil des Europäischen Gerichtshofs -EuGH- vom 22.10.2015 C-378/14, DStRE 2015, 1501). Ob die inländische Familienkasse verpflichtet ist, einen etwaigen inländischen Antrag der Kindesmutter zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 04.02.2016 III R 17/13, BStBl II 2016, 612), kann im vorliegenden Verfahren - allein - des Klägers dahinstehen.
Der Kläger kann sich nicht erfolgreich darauf berufen, seine Erwerbstätigkeit nach dem hier streitigen Zeitraum wieder aufnehmen zu wollen. Art. 68 der obigen VO stellt ab auf „eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit“ (Abs. 1 Buchst. b) i) - mithin auf die tatsächliche Tätigkeit. Ebenso die Bestimmung des Art. 11 Abs. 2 Sätze 1 und 2 der VO (EG) Nr. 883/2004: Nur und gerade bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen, wird davon ausgegangen, dass sie diese Tätigkeit auch ausüben. Das gilt indes nicht bei Geldleistungen bei Krankheit, die eine Behandlung von unbegrenzter Dauer abdecken. Letzteres ist hier indes der Fall.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Fundstellen
Dokument-Index HI15188811 |