Entscheidungsstichwort (Thema)
Abänderungspflicht bestandskräftiger Einkommensteuerbescheide gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO durch das Finanzgericht
Leitsatz (redaktionell)
- Nachträglich bekannt gewordene Tatsachen führen nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung nur dann zu einer niedrigeren Steuer im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, wenn das Finanzamt bei rechtzeitiger Kenntnis der Tatsachen schon bei der ursprünglichen Veranlagung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu keiner anderen Steuer gelangt wäre, die Tatsachen also aus seiner Sicht rechtserheblich gewesen wären.
- Auf das Erfordernis der Rechtserheblichkeit kann auch dann nicht verzichtet werden, wenn neben der Finanzbehörde auch der Steuerpflichtige erst nach der ursprünglichen Veranlagung Kenntnis von den Tatsachen (hier: Ausgleichszahlungen an Zusatzversorgungskasse bei Umstellung des Altersversorgungssystems als Teil des bescheinigten steuerpflichtige Arbeitslohns) erhalten hat.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 Nr. 2; EStG § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Streitjahr(e)
2001, 2002, 2003, 2004
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 2001 bis 2004 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) zu ändern sind.
Die Kläger sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der Kläger erzielte in den Streitjahren 2001 bis 2004 u.a. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit auf Grund einer Tätigkeit bei der X AG. In ihren Einkommensteuererklärungen gaben die Kläger die bezogenen Arbeitslöhne des Klägers mit 167.144 DM (2001), 84.518 EUR (2002), 88.986 EUR (2003) und 94.525 EUR (2004) an. Mit Einkommensteuerbescheiden vom 28. Januar 2003 (2001), 24. Oktober 2003 (2002), 06. Dezember 2004 (2003) und 15. April 2005 (2004) veranlagte der Beklagte (das Finanzamt – FA –) die Kläger zur Einkommensteuer und legte dabei die erklärten Arbeitslöhne des Klägers als Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit zu Grunde. Die Bescheide wurden bestandskräftig.
Im Februar 2006 informierte der Arbeitgeber den Kläger, dass er im Rahmen der Umstellung des Altersversorgungssystems auf eine andere Zusatzversorgungskasse Ausgleichszahlungen (sog. Nachteilsausgleich) für die Altersvorsorge des Klägers geleistet habe. Diese Zahlungen habe er als Arbeitslohn behandelt und dem Lohnsteuerabzug unterworfen. Nach einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) handele es sich jedoch nicht um Arbeitslohn i.S.v. § 19 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die Kläger beantragten daraufhin am 12. April 2006, die Einkommensteuerbescheide 2001 bis 2004 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern und die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers um 2.321 DM (2001), 1.226 EUR (2002), 1.261 EUR (2003) und 1.359 EUR (2004) zu mindern. Diesen Antrag lehnte das FA ab und wies den dagegen eingelegten Einspruch als unbegründet zurück.
Mit ihrer Klage tragen die Kläger vor, nach den BFH-Urteilen vom 14. September 2005 und 15. Februar 2006 stellten die Ausgleichszahlungen des Arbeitgebers an die Zusatzversorgungskasse keinen Arbeitslohn dar. Deshalb seien die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern. Dem Kläger sei bis Februar 2006 nicht bekannt gewesen, dass sein Arbeitgeber Sonderzahlungen an die Zusatzversorgungskasse der Lohnsteuer unterworfen habe. Insoweit liege eine dem FA nachträglich bekannt gewordene Tatsache vor. Die angeführten BFH-Urteile stellten keine Änderung der Rechtsprechung dar, da es zu diesem Problemkreis zuvor keine Rechtsprechung des BFH gegeben habe. Auf Grund der Unkenntnis über den Sachverhalt sei es ihm nicht möglich gewesen, gegen die Einkommensteuerbescheide Einsprüche einzulegen.
In der mündlichen Verhandlung haben die Kläger ergänzend ausgeführt, bei der Frage nach der Ursächlichkeit der Unkenntnis der Tatsachen seitens des FA für die ursprüngliche Steuerfestsetzung (sog. Rechtserheblichkeit) müsse differenziert werden. Enthalte ein Steuerpflichtiger der Finanzbehörde Tatsachen vor, etwa weil er sie für steuerlich nicht relevant halte, komme eine Änderung zu seinen Gunsten nur in Betracht, wenn die Behörde in Kenntnis der Tatsachen nicht ebenso (falsch) entschieden hätte. Sei aber auch dem Steuerpflichtigen die Tatsache nicht bekannt gewesen, müsse eine Änderung auch dann erfolgen, wenn zwar die Behörde die Steuer in Kenntnis der Tatsache ebenso hoch festgesetzt hätte wie ohne Kenntnis, der Steuerpflichtige aber sodann hätte Einspruch einlegen und später ggf. Klage erheben können. Den Entscheidungen des BFH, in denen er auf die Rechtserheblichkeit abgestellt habe, habe stets ein Sachverhalt zu Grunde gelegen, in dem der Steuerpflichtige im Zeitpunkt der Veranlagung Kenntnis von den Tatsachen gehabt habe.
Die Kläger beantragen,
unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 05. Mai 2006 und der Einspruchsentscheidung vom 23. Mai 2006 das FA zu verpflichten, die Einkommensteuerbescheide 2001 bis 2004 in der Weise nach § 173 A...