Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer - Schätzungsbefugnis: Keine Unzumutbarkeit der Aufzeichnunsgverpflichtung eines bargeldintensiven Betriebes bei modernem PC-Kassensystem - fehlende Programierprotokolle
Leitsatz (amtlich)
1. Die einzelne Aufzeichnung eines jeden Barumsatzes kann nach Rechtsprechung des BFH für den Steuerpflichtigen unzumutbar sein. Entscheidet der Steuerpflichtige sich jedoch für ein modernes PC-Kassensystem, das zum einen sämtliche Kassenvorgänge einzeln und detailliert aufzeichnet und zum anderen auch eine langfristige Aufbewahrung (Speicherung) der getätigten Einzelaufzeichnungen ermöglicht, kann er sich nicht (mehr) auf die Unzumutbarkeit der Aufzeichnungsverpflichtung berufen.
2. Das Fehlen von Programmierprotokollen für ein programmierbares elektronisches Kassensystem berechtigt jedenfalls bei bargeldintensiven Betrieben (wie hier bei einem Döner-Imbiss) zu einer Hinzuschätzung von Umsätzen und Einnahmen, wenn eine Manipulation der Kasse nicht ausgeschlossen werden kann.
3. Zeigen diverse Überwachungsvideos in den Betriebsräumen eines bargeldintensiven Betriebes (z. B. Döner-Imbiss) für den Zeitraum von einem Monat, das Mitarbeiter zahlreiche Bezahltvorgänge nicht im Kassensystem erfasst haben, besteht nach den Umständen des Einzelfalls Anlass, die sachliche Richtigkeit der Buchführung des Steuerpflichtigen - auch über den Monatszeitraum hinaus - zu beanstanden.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 1, § 5; AO §§ 146, 162; FGO §§ 69, 96
Tatbestand
I.
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen Hinzuschätzungsbescheide nach durchgeführter Außenprüfung.
Die Antragstellerin betrieb in den Streitjahren 2011 bis 2015 einen Döner-Imbiss nebst Kiosk in der X-Straße, Hamburg, .... Zum 8. November 2012 übernahm sie zudem eine Verkaufsfläche am Y-Platz in Hamburg. Im Imbiss wurden vornehmlich Dönerprodukte und Getränke verkauft. In den als Kiosk ausgestalteten Flächen bot sie Backwaren, Kaffee und andere Getränke, Zigaretten und Tageszeitungen an. Ihren Gewinn ermittelte sie gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1, § 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mittels Betriebsvermögensvergleiches.
Ihre Waren bezog die Antragstellerin zum großen Teil bei der A GmbH (A). Dabei handelte es sich vor allen um Dönerspieße (Kalb- und Geflügelfleisch), Wurstwaren, Verpackungen sowie Getränke. Im Rahmen einer bei A durchgeführten Steuerfahndungsprüfung und Durchsuchungsmaßnahmen bei der Antragstellerin gelangte die Steuerfahndung B im Bericht über die steuerlichen Feststellungen sowie dem strafrechtlichen Ermittlungsbericht zu folgenden Feststellungen:
Den bei A ausgelesenen Protokolldateien des Warenwirtschaftssystems, welche vom 3. September 2010 bis zum 31. Juli 2011 vollständig sowie in der Folgezeit bis zum 31. Oktober 2013 zumindest fragmentarisch vorlägen, könne entnommen werden, dass A der Antragstellerin die teilweise Verschleierung ihres Wareneinkauf, mithin eine sogenannte Doppelverkürzung (verkürzte Erfassung der Betriebseinnahmen als auch der Betriebsausgaben) ermöglicht habe. A habe die auf die Kundennummer der Antragstellerin XXX-1 gebuchten Bestellungen später zu einem nicht unerheblichen Teil auf das Konto Lager- bzw. Barverkauf (Kto. XXX-2 bzw. Kto. XXX-3) umgebucht. Ziel sei es gewesen, die Antragstellerin nicht mehr als Empfängerin der tatsächlich gelieferten Waren identifizierbar zu machen. Für den Zeitraum mit vollständigem Datenmaterial habe die Umbuchung 34 % des tatsächlichen Wareneinkaufs betragen. Für den Zeitraum lediglich fragmentarischer Umbuchungsdaten habe man zudem anhand sichergestellter Bestelllisten, Lieferscheinen mit Barzahlung sowie Ermittlung bestimmter Produkte, welche ausschließlich die Antragstellerin von A bezogen habe (z. B. Dönerspieße bestimmter Größe und Würzung, bestimmte Kaffeesorten) weitere unter dem Kto. XXX-2 (Lagerverkauf) gebuchte Warenlieferungen der Antragstellerin zuordnen können. Ab August 2012 erfasse das Kto. XXX-1 zudem keine Wareneinkäufe für das Wochenende. Dies entspreche nicht den aufgefundenen Warenbestellungen und Lieferscheinen. Die Antragstellerin habe laut sichergestellter Lieferscheine üblicherweise 450 kg Dönerfleisch am Wochenende erhalten. Die Auswertung des bei der Antragstellerin sichergestellten Videomaterials für den Oktober 2013 zeige zudem, dass sowohl im Imbiss- als auch im Kioskbereich viele Verkaufsvorgänge nicht mit dem Kassensystem erfasst worden seien. Das Finanzamt B schätzte daraufhin die nicht erklärten Betriebseinnahmen bzw. die nicht abgeführte Umsatzsteuer (bezüglich der Einzelheiten wird auf den Bericht über die steuerlichen Feststellungen vom 26. März 2015 und den Ermittlungsbericht vom 26. Oktober 2016 verwiesen).
Auf Grundlage dieser Ermittlungsergebnisse erließ der Antragsgegner am 12. Juni 2015 bzw. 14. Juli 2015 zunächst (geänderte) Bescheide unter anderem über die Einkommensteuer, die Umsatzsteuer sowie den Gewerbesteuermessbetrag für die Jahre 2011 bis 2013. Gegen diese Bescheide richtete sich die ...