Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtigkeit eines Steuerbescheides - Zulässigkeit einer einstweiligen Anordnung
Leitsatz (amtlich)
Zur Zulässigkeit einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, der Behörde die Vollstreckung eines nichtigen Verwaltungsaktes zu untersagen.
Nichtigkeit eines Steuerbescheides im Zusammenhang mit einer Steuerhinterziehung wegen fehlender Begründung und nicht erkennbaren Schätzungserwägungen.
Normenkette
FGO § 114; AO §§ 121, 125, 157, 257
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung.
Der Antragsteller ist polnischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Polen. Mit Steuer- und Zinsbescheid vom 10.05.2005 nahm der Antragsgegner den Antragsteller auf Zahlung von Einfuhrabgaben (Zoll, Tabaksteuer und Einfuhrumsatzsteuer) sowie Zinsen in Höhe von insgesamt € 24.587.740,55 in Anspruch. In dem Steuer- und Zinsbescheid vom 10.05.2005 heißt es:
"Nach den Ermittlungen des Zollfahndungsamts A haben Sie sich der gewerbsmäßigen und bandenmäßigen Steuerhinterziehung in mindestens 60 Fällen im Zeitraum vom 18.09.2001 bis 23.06.2003 schuldig gemach, indem Sie, gemeinschaftlich handelnd mit weiteren, gesondert verfolgten Personen unverzollte und unversteuerte Zigaretten, aus Polen in das Zollgebiet der Gemeinschaft eingeschmuggelten, um diese über Deutschland nach Großbritannien weiter zu transportieren und dort gewinnbringend abzusetzen und sich damit eine fortlaufende Einnahmequelle verschafft haben. Bei jedem vorschriftswidrigen Verbringen wurden mindestens 14.000 Stangen (2.800.000 Stück) Zigaretten eingeschmuggelt, so dass von einem Gesamtvolumen von mindestens 168.000.000 Stück Zigaretten ausgegangen werden muss. Nach dem o.a. Zeitraum konnten weitere Schmuggeltransporte nachgewiesen werden (s. Abgabenberechnung). Durch das vorschriftswidrige Verbringen in das Zollgebiet der Gemeinschaft ist die Einfuhrabgabenschuld entstanden. Sie sind Schuldner der Einfuhrabgaben, weil Sie an dem Verbringen beteiligt waren, obwohl Sie wussten, dass Sie damit vorschriftswidrig handeln. Als Einfuhrzeitpunkt und damit maßgeblich für die Anwendung der Zollvorschriften wird das jeweils vom Zollfahndungsamt ermittelte Datum angenommen. Soweit das vorschriftswidrige Verbringen keinem konkreten Zeitpunkt zugeordnet werden kann, habe ich aus dem Tatzeitraum 18.09.2001 bis 23.06.2003 den 23.09.2002 als mittleren Tatzeitpunkt der Abgabenberechnung und der Zinsberechnung zu Grunde gelegt ..."
Weitere Ausführungen zum steuerschuldbegründenden Vorwurf der "gewerbsmäßigen und bandenmäßigen Steuerhinterziehung in mindestens 60 Fällen" enthält der Steuer- und Zinsbescheid nicht.
Der Steuer- und Zinsbescheid vom 10.05.2005 wurde dem Antragsteller am 31.08.2005 durch die polnischen Finanzbehörden bekannt gegeben. Der Antragsteller erhob gegen den Steuer- und Zinsbescheid vom 10.05.2005 Einspruch, der am 11.10.2005 beim Antragsgegner einging. Mit Einspruchsentscheidung vom 04.07.2006 verwarf der Antragsgegner den Einspruch des Antragstellers gegen den Steuer- und Zinsbescheid vom 10.05.2005 als unzulässig. Gegen die Einspruchsentscheidung vom 04.07.2006 hat der Antragsteller keine Klage erhoben.
Der Antragsteller hat am 04.09.2007 Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Steuer- und Zinsbescheides vom 10.05.2005 erhoben, die beim beschließenden Senat unter dem Aktenzeichen 4 K 307/07 anhängig ist. Am 16.11.2007 hat der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt mit dem Ziel, eine (weitere) Vollstreckung aus dem Steuer- und Zinsbescheid vom 10.05.2005 abzuwehren. Er meint, der Steuer- und Zinsbescheid sei nichtig. Denn der Antragsgegner habe ohne jegliche Begründung Besteuerungsgrundlagen geschätzt. Auf welchen tatsächlichen Grundlagen die vom Antragsgegner getroffenen Feststellungen beruhten, sei dem Bescheid nicht ansatzweise zu entnehmen.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, von einer weiteren Vollstreckung des Steuer- und Zinsbescheides vom 10.05.2005 abzusehen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er ist der Ansicht, der in Rede stehende Steuer- und Zinsbescheid sei keinesfalls nichtig. Eine willkürliche Steuerschätzung liege nicht vor. Die Zigarettenmengen seien durch das Zollfahndungsamt A im Rahmen des gegenüber dem Antragsteller geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens ermittelt worden. Auch genüge der Bescheid vom 10.05.2005 den an einen Steuerbescheid im Hinblick auf die Begründung zu stellenden Mindestanforderungen. Aus dem Steuer- und Zinsbescheid vom 10.05.2005 gingen nämlich Steuerart, Steuerbetrag, Besteuerungszeitraum und Steuerpflichtigen klar hervor.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten 4 V 308/07 und 4 K 307/07 verwiesen.
II.
Der gemäß § 114 Abs. 1 FGO zulässige (hierzu unter 1.) Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat auch in der Sache Erfolg (hierzu unter 2.).
1. Der Antrag auf Erlass einer einst...