Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung der Vollziehung nach § 162 AO: Hinzuschätzung auf Grund einer Quantilschätzung bei mangelhafter Buchführung
Leitsatz (amtlich)
Bei einer unstreitig mangelhaften Buchhaltung kann eine Hinzuschätzung auf Grund der sog. Quantilschätzung vorgenommen werden, wenn der Steuerpflichtige keine konkreten Einwendungen erhebt, die eine andere Schätzung begründen könnten.
Normenkette
AO § 162
Tatbestand
I.
Die Antragstellerin (AStin) begehrt mit ihrem gerichtlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV-Antrag) die AdV der nach einer Betriebsprüfung (BP) geänderten Bescheide.
Die 1991 gegründete AStin gehört zur Unternehmensgruppe "XX", welche diverse ... betreibt.
Der Gegenstand des Unternehmens der AStin ist der "Betrieb von ... sowie der Erwerb und Errichtung weiterer Betriebe dieser Art und aller damit verbundener Geschäfte".
In der Zeit vom 08.12.2015 bis zum 10.01.2017 wurde für die Jahre 2009 bis 2011 eine BP durchgeführt. Der Betriebsprüfer gelangte zu der Auffassung, dass die vorgelegte Buchhaltung mangelhaft sei und die Besteuerungsgrundlagen gem. § 162 Abgabenordnung (AO) zu schätzen seien. Die Schätzungen nahm er auf der Grundlage von sog. Quantilschätzungen vor. Hierdurch ermittelte er einen Rohgewinnaufschlagsatz (RGAS) in Höhe von 372 %. Auf den BP-Bericht vom 11.01.2017 wird verwiesen.
Anschließend ergingen am 22.02.2017 folgende Änderungsbescheide:
- Gewerbesteuermessbetrag 2010-2014,
- Bescheide über Körperschaftsteuer 2010-2014 und
- Umsatzsteuer 2009-2011
Hiergegen legte die AStin am 20.03.2017 Einspruch ein.
Am 24.03.2017 stellte die AStin einen AdV-Antrag, welchen der Antragsgegner (Ag) durch Bescheid vom 03.04.2017 ablehnte. Am 27.04.2017 beantragte die Astin erneut AdV. Diesen Antrag wertete der Ag als Einspruch gegen die AdV-Ablehnung und wies diesen durch Einspruchsentscheidung vom 03.07.2017 als unbegründet zurück.
Die Einsprüche vom 20.03.2017 wurden durch Einspruchsentscheidung vom 03.07.2017 zurückgewiesen. Der Ag wies insbesondere daraufhin, dass die von der AStin vorgelegten Zahlen einen RGAS in Höhe von 425 % begründen und damit eine Verböserung bewirken würden.
Am 29.06.2017 hat die AStin einen AdV-Antrag bei Gericht gestellt. Zur Begründung trägt sie vor:
Der Antrag sei zulässig, obwohl der Ag bisher nicht über ihren AdV-Antrag vom 24.03.2017 entschieden habe, denn die Bearbeitungszeit sei unangemessen.
Es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Schätzungsbescheide. Die Schätzungsbefugnis des Ag sei nicht streitig, sondern die Methodik der Schätzung. Die Quantilschätzung sei keine zulässige Schätzungsmethode. Sie fuße auf den Ergebnissen eines gleichsam inzident bzw. immanent vorgenommenen Zeitreihenvergleichs. Die Methodik des Zeitreihenvergleichs sei jedoch ihrerseits im großen Maße defizitär, so dass ausweislich ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung strenge Anforderungen hieran zu stellen seien. Eine Beschränkung auf einen summarischen Vergleich mit amtlichen Richtsätzen sei nicht ausreichend. Eine hinreichende Plausibilitätsprüfung lasse die BP nicht erkennen.
Der Ag habe das ihm obliegende Auswahlermessen nicht oder jedenfalls nicht ermessensfehlerfrei ausgeübt. Rechtliche Grundlage sei das in § 5 AO normierte Ermessen i. V. m. dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zwar möge vorliegend die Ausübung des Entschließungsermessens des Ag angesichts der festgestellten formellen Buchführungsmängel mit Blick auf die in § 162 AO normierte Schätzungsbefugnis nur wenig angreifbar erscheinen. Allerdings habe der Ag sein auf zweiter Ebene auszuübendes Auswahlermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt. Die Finanzbehörde hätte prüfen müssen, ob im Einzelfall eine andere Schätzungsmethode existiere oder sich aufdränge, die tendenziell zu genaueren Ergebnissen führe. Ermessensleitend sei dabei das Ziel, die Besteuerungsgrundlagen durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen so zu bestimmen, dass sie der Wirklichkeit möglichst nahe komme. Der Ag hätte zumindest eine fehlerfreie und methodisch anerkannte Vergleichsrechnung, sog. Sensivitätsanalyse, anstellen müssen.
Auch mit Blick auf den durch die Finanzbehörden einzuhaltenden verfassungsrechtlichen Rahmen bestünden Bedenken. So sei unter dem Gesichtspunkt des Anspruchs des Steuerpflichtigen auf einen effektiven Rechtsschutz durch die Gerichte der Zeitreihenvergleich nicht frei von methodenspezifischen Bedenken. Schätzungsgrundlagen müssten von der Finanzbehörde so dargelegt werden, dass ihre Nachprüfung, insbesondere eine Schlüssigkeitsprüfung des zahlenmäßigen Ergebnisses, möglich sei. Dabei müssten sowohl die Kalkulationsgrundlagen und damit auch die spezifischen Daten, auf denen der Zeitreihenvergleich basiere, als auch die Ergebnisse der Kalkulation sowie die Ermittlungen, die zu diesen Ergebnissen geführt haben, lückenlos offengelegt werden.
Durch den erheblichen Umfang des Zahlenwerks, welches einem Zeitreihenvergleich zu Grunde liege, teile auch der BFH in seiner Entscheidung vom 25.03.2015 X R...